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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 411
II. Abtheilung.
Theoretisches und Kritisches.
Die Logik der materialistischen Lehre und ihre
Werthschätzung des Lebens.
Vom f kaiserl. russ. Geheimrath u. Generalarzt a. D.
Dr. Wik. v. Seeland.-)
(Fortsetzung von Seite 861.)
Schon in Dingen der Wissenschaft bleibt es denn doch
ein Sonderbares, wieso der Materialist der Neuzeit, unbekümmert
um den Urquell, aus dem sie schöpften, nach den
vielfachen, von grossen Forschern der Vorzeit aufgefundenen
Wahrheiten langt und sie sich aneignet, ohne sich zu
*) Zum vorigen Abschnitt erhielten wir von sehr schätzens-
werther Seite die nachfolgende Zuschrift: „S. g. H. Prof.! Wollen
Sie mir gestatten, dass ich gegen einen Ausspruch in Geheimrath.
v. Seeland'* „Logik der materialistischen Lehre u. s. w.tt energisch
protestire. Der überaus scharfsinnige und sonst meinen vollen Beifall
findende Verfasser macht auf b. 360 des Juni-Heftes einen m.
E. ganz unverantwortlichen Ausfall auf Richard Wagner, indem er
dessen Werke „zum grössten Theil den negativistischen Kunstwerken
" beizählt, deren Hauptmittel Pessimismus, Ironie oder aber
Sinnenkitzel seien und bei denen sich Mangel an Schwung, Frische
und Fruchtbarkeit fühlbar mache. Im Besonderen wird dann E.
Wagner „mit seinem imposanten Musiklärm* in Gegensatz zu einem
Mozart und Beethoven gebracht. Wenn v. Seeland nicht schon aus
dem Leben geschieden wäre, würde ich weiter ausholen, um zu
zeigen, dass es sich hier um eine grobe IJnkenntniss des wahren
Sachverhalts handelt. [Uns scheint vielmehr nur eine auf individueller
Idiosynkrasie des Temperaments beruhende Verschiedenheit
im musikalischen Geschmack, bezw. im feineren Kunstempfinden
vorzuliegen. — R e d.J So aber mag es genügen, darauf hinzuweisen,
dass R. Wagner sehr viel mehr als Musiker, dass er vor Allem ein
sehr grosser dramatischer, die tiefsten Lebensfragen erhellender
Dichter und im Ganzen der grösste deutsche Künstler ist, für
dessen Werke genau das Gegentheil von dem gilt, was v. Seeland
sonst mit Becht über die negativistischen Kunstwerke sagt. Hierüber
kann man sich gegebenen Falles am Besten von H. St. Chamber-
lain („Richard Wagner") ausführlich belehren lassen. Im Uebrigen
fiit für R. Wagners Schöpfungen ganz besonders das Wort Lichten-
erg's: „Gewisse Werke sind Spiegel; wenn ein Affe hineinsieht
kann kein Apostel heraussehen," womit ich jedoch keineswegs aui
den ehrwürdigen Verstorbenen zielen möchte, da ich fest überzeugt
bin, dass es sich bei ihm in diesem Fall nur um Unkenntniss. bezw.
um Mangel an tieferem musikalischem Verständniss handelte. — Bei
dieser Gelegenheit auch einige Worte über den für mich so
schmeichelhaften „Offenen Brief eines Laien an einen berühmten
Spiritisten* (Juni-Heft S. 367). Dass der überaus belesene und die*
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