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412 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1904.)
fragen, ob er dabei auch konsequent verfahrt, da doch jene
Wegweiser beim Lichte einer Fackel arbeiteten, welche er,
der Epigone, auszulöschen trachtet. Dass unter Anderen
auch Diejenigen, welche dem grossen Gedanken der organischen
Entwickelung in erster Linie Bahn brachen, also
Heraklit, Empedokles, Lamarck, Goethe und Darwin, deren Geistesarbeit
heute von den Kleinen, die sich ihre Resultate anDinge
an ihrer Wurzel packende Verf, wenn ihm auch die neuere
okkultistische Litteratur nicht ganz geläufig zu sein scheint, sich
mit Unrecht einen „Laien* nennt, wird sich jeder Leser bereits
selbst gesagt haben; ebenso, dass der Adressat nichts weniger als
„berühmt*, wohl aber vielleicht bekannt ist Ferner möcnte ich
wiederholt bemerken, dass ich mich nicht gerne als Spiritist, sondern
vielmehr richtiger als Okkultist bezeichnet sehe, der allerdings
die spiritistische Hypothese gelten lässt und sie in gewissen Fällen
jeder anderen Erklärungsweise sogar vorzieht. Wenn „Heliodor" die
Wiederherstellung der „hermetischen Kette* unter thunlichstem
Ausschluss aller Unberufenen wünscht, so steht er damit gewiss
nicht allein da; es ist nur traurig, dass die Erreichung dieses Zieles,
bezw. der Zusammenschluss der Berufenen durch allerhand menschliche
Schwächen ausserordentlich erschwert wird. — Endlich noch
einen Beitrag zur Lösung des psychologischen Räthsels, das uns
Herr JB. Kordon in seiner vortrefflichen Schrift „Ist Prof. Dessoir
sachverständig?" aufgegeben hat. Dieser Berliner Professor hat bekanntlich
unter Eid ein Gutachten dahin abgegeben, dass das
Ton den Spiritisten behauptete Phänomen des Apportes „unsere
ganze, Jahrtausende alte wissenschaftliche Erfahrung, die ganze
wissenschaftliche Feststellung vom Wesen der Materie über den
Haufen werfen würde/ Nachdem Kordon, ohne jedoch erschöpfend
zu sein, gezeigt, wie ausserordentlich verschieden die Materie im
Laufe der Zeit definirt worden ist, so dass von einer „wissenschaftlichen
Feststellung* ihres Wesens gar keine Eede sein kann, stellt
er das beispiellos unbesonnene Verhalten Dessoir9* als ein psychologisches
Eäthsel hin. Mir scheint nun für die Lösung dieses
Eäthsels dreierlei in Betracht zu kommen: 1. Dessoir ist wahrscheinlich
erblich belastet, insofern seine beiden Eltern, wie ich kürzlich
aus zuverlässiger Quelle erfahren, irrsinnig gewesen sind. 2. Die
Behauptung Zöllner1*, dass die bei Professoren so häufig vorkommende
Eitelkeit rückbildend auf die Verstandesthätigkeit wirke. 3. Die
bei der genannten Kaste gleichfalls sehr oft beobachtete Furcht
vor neuen Erscheinungen ^Misonei'smus), die nach Börne9* boshafter
Bemerkung damit zusammenhängen soll, dass alle Ochsen zittern,
seitdem Pythagoras nach der Entdeckung seines geometrischen Lehrsatzes
hundert Ochsen geopfert hat.
Pasing, den 10. Juni 1904.
Wir verweisen hinsichtlich der beiden letztgenannten Punkte
unsere Leser wiederholt auf die schlagenden Beispiele „professoraler
Boeksprünge*, welche Hofrath Seiling in seinem (nun bei 0. Mutze
in vierfach vermehrtem Umfang des ursprünglichen Aufsatzes
erschienenen) Buch: „Das Professorenthum der
Stolz der Nation* (122 S., M. 1.50) giebt, sowie auf die an
anderer Stelle abgedruckte Originalstudie des Turiner Psychiaters
Zombroso über „Misoneismus*. — Eed.
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