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Rivola: Ueber die Seele als Kraftprinzip.
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Leipziger Naturforscherversammlung 1872 mit den Worten
geschlossen hatte: „Ignoramus et ignorabimus!" —
Was nun die Stellung Rivola's gegenüber der Unsterblichkeitsfrage
betrifft, vermag er nach seiner Ansicht von
dem Wesen der Seele und ihrem Verhältnisse zur Materie
weder verschiedene immaterielle Wesenheiten im Menschen
anzunehmen, wie Seele und Geist, Naturpsyche und geistige
Psyche, vergängliche und unvergängliche Seele (wie z. B.
Aristoteles), noch auch entweder ein partiales oder totales
Aufhören und Verschwinden der Seele mit dem Aufhören
des wirklichen Lebens. Ein gänzliches Aufhören dessen,
was wir unsere Seele nennen, würde in dem Falle noth-
wendig sein, wenn die Seele nichts Anderes wäre, als die
Wirkung der Kombination der Atome, wie sich solche in
dem menschlichen Körper gestaltet hat, oder die Summa-
tion der verschiedenen Funktionen, die dem Oentralnerven-
system, dem Hirn, ausschliesslich zukommen und durch
dasselbe bedingt sind, eine Ansicht, welche dem Materialismus
eigen angehört. Bei einem derartigen Verhältnisse
zwischen Leib und Seele müsste freilich die Seele aufhören,
sobald der Leib sich wieder in seine Atome auflöst. Allein
ein solches Verhältniss besteht nicht zwischen Leib und
Seele und kann nicht bestehen, wenn, wie es das logische
Denken mit Nothwendigkeit verlangt, die Welt und deren
Objekte den Charakter der Relativität an sich tragen und
diese sich konsequenter Weise auch in dem Urprinzip derselben
schon zeigen muss. Darnach sind der Prinzipien
zwei: ein thätiges und ein leidendes (aktives und passives),
oder formales und reales, Kraft und Stoff, Geist und
Materie; doch ist von ihnen das formale, vernunftmässig
wirkende Prinzip das höhere, indem das andere, passive
oder materielle Prinzip jenem Mittel wird zur Verwirklichung
der Ideen, Als Urprinzipien des relativen Seins
sind aber beide gleich ewig; wie kein Atom verloren geht,
so auch keine Kraft, das ist ein anerkannter Satz der
Naturwissenschaft selbst; beide sind ihrem Sein nach insofern
unabhängig von einander, als man nicht sagen kann,
der Stoff habe die Kraft geschaffen, oder die Kraft den
Stoff *) noch auch die Kraft sei eine Eigenschaft des Stoffes,
da die Begriffe derselben einander entgegengetzt sind, also
nach dem Gesetze der Identität oder des Widerspruchs
nicht im Verhältniss von Substanz und Accidenz zu ein-
*) So lautet auch die Behauptung HäckeVs in seinem Werke
„Anthropogenie"; vgl. Dr. A\ Dielerieh, „Philosophie and Naturwissenschaft
*1 S. 26, Anmerkung.
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