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448 Psychische Studien, XXXI. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1904.)
Kollegen nun auch seine als okkultistisch verdächtigten
früheren Forschungen über die tiefsten Lebensgründe mit
weniger misstrauischen Blicken betrachten und einer eingehenderen
Nachprüfung für würdig halten.
c) Neue geschichtliche Forschungen über
das Käthchen von fleilbronn veröffentlichte jüngst
Gymnasialrektor Dr. Friedr. Dürr zu Heilbronn in der dort
erscheinenden „Nekarzeitung*. Bisher stand fest, dass vor
dem Jahr 1808, wo Kleisfs bekanntes Drama geschrieben
wurde, Niemand von der Heldin dieses Stücks etwas wusste.
Jetzt steht fest, dass der Dichter eben 1808 Vorlesungen
des Arztes, Naturphilosophen und Mystikers Heinrich Gotthilf
Schubert in Dresden über Somnambulismus hörte, während
ihm der Name der Stadt Heilbronn wahrscheinlich
durch Gothel „Götz von Berlichingen* nahe gelegt wurde.
Ueberdie8 bezog sich Schubert mehrfach auf Krankengeschichten
des Arztes Eberhard Gmelin in Heilbronn und
dessen Theorie des animalischen Magnetismus, bezw. Mittheilungen
über eine dortige somnambule ßathsherrntochter.
Dr. Dürr fand nun ein von Gmelin verfasstes Ruch mit der
ausführlichen Darstellung der Krankheitsgeschichte der
Bürgermeisterstochter Demoiselle Elisabeth Komacher, geb.
4. Nov. 1773, dritter Tochter des damaligen Bürgermeisters
Georg Christoph Kornacher und seiner Gattin Margarete Uhl,
Rosenwirthstochter. Diese Lisette wurde von Dr. Gmelin
kurirt und heirathete 1796 dessen Neffen, Dr. Christian
Elett, gräflich Erbach'schen Leibarzt und Hofrath zu Erbach
, welcher Ehe neun Kinder entsprossen, von denen die
1858 gestorbene Mutter fünf überlebte. Das Grab auf dem
Heilbronner Friedhof trägt noch heute die Namen von ihr
und ihrem Gatten. Dies ist, kurz zusammengefasst, das
interessante Ergebniss der verdienstvollen Dürr'scheri
Forschungen über das Prototyp der Heldin des gerade
durch seinen zarten Hauch aus der übersinnlichen Welt
so fesselnden und zugleich rührenden Dramas von Heinrich
v. Kleist
d) Ein Blinder als Graphologe. Aus Paris
schreibt man der „Voss. Ztg.": Dr. Javal, Mitglied der
„Academie de medecine", ist seit längerer Zeit vollständig
blind. Als er noch sehen konnte, beschäftigte er sich
eifrig mit der Handschriftendeutung und hat über diese
Kunst mehrere Werke veröffentlicht. Sein Interesse für
die Graphologie nahm auch nicht ab, als er von Blindheit
befallen wurde: er nahm eine junge Dame ins Haus, machte
sie nach und nach mit seinem graphologischen System bekannt
und lässt sich von ihr die einzelnen Züge einer
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