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£.....: Merkwürdige Erlebnisse.
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Also unsere Sitzung sollte beginnen: ich begab mich
als Erste in mein Zimmer, entfernte die Tischdecke, die mir
die Aussicht auf die Füsse und Kniee des Mediums verdeckt
hätte, und schob den Tisch etwas vom Sopha ab.
Dann traten Frl. G. aus Böhmen, Frau Rothe und Herr
Jentsch ins Zimmer. Frau Rothe hatte ein schwarzes,
modernes Kleid an, mit ganz engen, an der Hand
schliessenden Aermeln. Ihr Taschentuch hatte sie in einem
Gürteltäschchen, welches sie gleich beim Eintritt ablegte.
Der Kleidrock hatte keine Tasche und war, wie alle Damenkleider
damals, links seitwärts geschlossen. Frau Rothe
fand es Äkühl*, obgleich es sehr heiss im Zimmer war und
die Sonne ins Zimmer hineinprallte. Sie bat um meinen
seidenen Kegenmantel, den ich ihr um die Schultern hing.
Selbstverständlich sagte ich mir, solches geschehe entweder
um etwas zu verbergen oder um ein „Kabinet" zu bilden.
Natürlich finden alle superklugen Leute es auf der Hand
liegend, dass das Erstere bezweckt wurde. Ich bin davon
nicht ohne weiteres überzeugt, denn ich sah schon unendlich
oft im Leben, dass das Unwahrscheinlichere die
Wahrheit und das scheinbar auf der Hand Liegende und
einleuchtend Wahrscheinliche gerade die Lüge war. —
Wir setzten uns sodann in folgender Reihenfolge:
auf dem Sopha nahm Frau Rothe und links von ihr Frl. G.
Platz, auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches Heir
Jentsch, entfernt genug und frei sichtbar, um keine Gegenstände
hinüberschieben oder -werfen zu können. An der
rechten Seite des Tisches, aber ein Stück vom Tisch abgerückt
und den Stuhl so gekehrt, dass ich Frau Rothe fast
an und mit beiden Knieen berührte und ihr Auge in Auge
sah, sass ich, zum üeberfluss mit dem pince-nez bewaffnet.
Ich konnte Füsse und Hände der Frau Rothe jeden Augenblick
beobachten. Das merkte Frau Rothe denn auch gleich
und, nachdem sie in Trance gefallen war, bemerkte ,rFried-
chena: „Aber liebe Tante, du kannst 'mal schön beobachten,
Du denkst gewiss, das „Medibum" hat die Blumen unter
dem Unterrock," worauf ich freundlich lächelnd erwiderte:
„Gewiss, liebes Friedchen, ich will in jedem Fall wissen,
woher Du die Blumen nimmst." Frau Rothe verfiel in dieser
Sitzung dreimal in Trance. Jedes Mal fiel der Kopf etwas
zurück, bevor sie erwachte, und jedes Mal hörte ich deutlich
vor dem Erwachen einen schwachen Ton in ihrer Kehle,
so als würde etwa beim Lautiren der Buchstabe k leise
markirt. Vor der Sitzung sprach Herr Jentsch ein kurzes
Gebet. Ich habe schon viel gute Kanzelredner beten gehört,
aber die Mehrzahl Hess mich recht kühl. Die Worte dieses
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