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Dankmar: Geistfge und soziale Strömungen etc. 531
licher Gereiztheit nur zu sehr angriff, hatte diesem seine
„poetische Charakterlosigkeit" vorgeworfen, denn jener war
ein ehrlicher, aber einseitiger Politikus, der alles Heil
von der Veränderung in eine republikanische Staatsform
erhoffte. Börne kannte nur politisch-freiheitliche Interessen,
Heine fasste die Freiheit künstlerisch auf, und so musste
manche Gestalt vom Glorienscheine des Erfolges oder
tragischen Untergangs umflossen sein, damit er sie lieben
konnte. Börne's Vorwurf, dass für Heine die Form das
Höchste sei, ist theilweise berechtigt ^Heine liebte wirklich
nur an der Wahrheit das Schöne, an der Freiheit nur
die glänzende Blüthe, welche voll entwickelt im Sonnenschein
prangt44 Er verlangte aber zugleich mit Recht:
man solle nicht das Gold der Poesie auf die plumpe Bleiwaage
der politischen Gesinnung legen. Bei ihm ist zwar
Alles revolutionär, aber auch aristokratisch: das Philiste-
rium, die Mittelmässigkeiten jeder Geistesrichtung stiessen
ihn ab. Deshalb seine Abneigung gegen das „Justemilieu"
des Bürgerkönigthums, seine Bewunderung des grossen
Napoleon und endlich seine Hinneigung zum — St. Simonismus
, mit dem Heine sich eingehend beschäftigte. Er
besass auch den Muth, seinen Sympathien für diese grossartige
Lehre offenen Ausdruck zu leihen. Echt St. Simonistisch
sind Gedankenf wie: „Ich gehöre nicht zu den
Materialisten, die den Geist verkörpern; ich gebe vielmehr
den Körpern ihren Geist zurück, ich durchgeistige sie, ich
heilige sie." „Die Menschheit ist aller Hostien überdrüssig
und lechzt nach nahrhafterer Speise, nach echtem Brocl
und schönem Fleisch." Das ist die St. Simonistische
„Wiedereinsetzung der Materie in ihre Rechte", die von
En fantin gelehrte „Rehabilitation des Fleisches*1, welche
Heine als Stichwort von „der Emanzipation des Fleisches" in
die deutsche Litteratur einführte. Und er bricht in jene Worte
aus (Ges. Werke Bd. V, 135), welche wir als Motto über unsere
Arbeit gesetzt haben und deren Schluss lautet: „Wir kämpfen
nicht für die Menschenrechte des Volkes, sondern für die
Gottesrechte des Menschen.14 Die politischen Einzelkriege
der Völker sind dem Dichter nur der erste Akt eines-
grossen Weltkampfes: „Der zweite Akt ist die europäische,
die Welt-Revolution, der grosse Zweikampf der Besitzlosen
mit der Aristokratie des Besitzes, und da wird weder von
Nationalität, noch von Religion die Rede sein: nur ein
Vaterland wird es geben, nämlich die Erde, und nur
einen Glauben, nämlich das Glück auf Erden." An das
glaubt Heine l Für Börne war die Freiheit nur etwas Negatives
: die Abwesenheit der Unfreiheit (wie er das so herr-
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