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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen etc. 53$
kappe über die Ohren stülpte. Mit vernichtendem Spotte,
mit zersetzender Ironie löste er Falsches, Verlogenes auf
und erweiterte den Horizont des geistigen Lebens, welchen
die Romantiker durch ein gothisches Kirchendach zu verengen
gesucht hatten. Nebelhafte Wahngebilde, falsche
Ideale zerstörte er und für ihre Zeit hatte diese Ironie, die
«ich freilich leider auch oft gegen Ewiges, Wahres richtete,
ihre völlige Berechtigung: es war — wie Fr. Th. Fischer
sagt — : ,,der Verwesungsprozess der deutschen Romantik.*^
Doch der positive Gehalt von Heine's Dichtungen, nach
Auscheidung der Ironie, ist so unsterblich gross, dass ihre
wohllauttönenden Weisen erklingen werden, so lange ein
poesiebegeistertes Herz auf Erden schlägt! Viele seiner
Lieder sind Volkslieder geworden, deren Verfasser man
kaum mehr kennt. Heine ist einer der grössten Lyriker
aller Zeiten und wenn uns dieser „ungezogene Liebling
der Grazien" in lustiger Laune auch manch frivoles, leichtfertiges
Liedchen vorgeträllert hat, so kann er sich auch
zu tragischer Höhe erheben. Man erinnere sich seiner
,,Nordseebilderu, woru? er, wie kaum je ein Dichter vor
ihm, das Meer poetisch verherrlicht hat und sehe sich das
titanisch - finstere Bild der „Götterdämmerung" an. Und
was giebt es furchtbar Düstereres, als jene Atmosphäre von
verzweifelter Liebe und letztem Todesröcheln, wie sie
Heine's Verhältniss zu jener lieblichen „Mouche" (der frau-
zösirten Lehrerin Camille Seiden), welche im achten Jahre
seiner fürchterlichen Krankheit an sein Sterbelager tratr
umgiebt, und aus welcher sich jene grandiose Vision
losringt, in der über des Dichters eigenen Leichnam, der
im Marmorsarkophage ruht, sich die „Mouche" als Passionsblume
niederbeugt: in lautlosem Zwiegespräch kosen die*
Marterblume und ihr Todter . . .
Es erhebt sich nun die Frage: war dieser grosse
Spötter, dieser zersetzende Denker, dieser gewaltige Liedermund
wirklich Atheist und Materialist? Trotzdem er auch
den lebendigen Gott und die letzten, höchsten Fragen nie
mit seiner geistreich boshaften Ironie verschonte, so kann
man doch sagen, dass er Beides nicht war. Vor Allem
war Heine ein genauer Kenner der deutschen Philosophie,
über die er manch trefflich-lesenswerthes Wort geschrieben
hat. Sein gottestrunkener Pantheismus spricht sich in den
Sätzen aus: „Gott ist ideutisch mit der Welt. Er mani-
festirt sich in den Pflanzen, die ohne Bewusstsein ein kosmisch
-magnetisches Leben führen. Er manifestirt sich in
den Thieren, die in ihrem sinnlichen Traumleben eine mehr
oder weniger dumpfe Existenz empfinden. Aber am herrlichsten
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