Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
31. Jahrgang.1904
Seite: 572
(PDF, 224 MB)
Bibliographische Information
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572 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 9. Heft. (September 19ö4.)>

„Jetzt bist du gestorben und dein Körper wird der Mutter
Erde tibergeben werden."

Ich wollte zum Bruder hinausgehen und mich ihm
zeigen, aber ich that es nicht, ich weiss nicht warum; dafür
rief ich ihn dreimal beim Namen, doch er rührte sich nicht.
Da dachte ich mir: vielleicht hören die Lebenden die
Stimme der Todten nicht; was wird aber der Arme bei
seinem hohen Alter und seinem schwachen Gesichte in der
fremden Stadt machen, ohne eine treue Seele an seiner
Seite? Morgen wird ihn nicht, wie alitäglich, mein Ruf
wecken: „Anton, steh' auf, der Kaffee ist fertig!" Bei diesen
Gedanken überfiel mich eine gelinde Angst und ein tiefes
Mitleid mit meinem Bruder. Im Nu fuhr ich, wie mir
schien, durch den Kopf, wo ich wahrscheinlich auch herausgekommen
war, in den leblos daliegenden Körper, — ein
Ruck, wie von einem elektrischen Schlage, durchzuckte mich
vom Scheitel bis in die Zehenspitzen und ich schlug die
Augen auf. Mich aufrichtend, blickte ich sofort nach meiner
Rechten, wo ich vor einem Augenblick gestanden hatte. Ich
liess meine Blicke im Zimmer umherschweifen; es stand
Alles so, wie es stets gestanden; ich befühlte meinen
Körper, um mich zu überzeugen, dass ich thatsächlich lebe.
So sass ich, in Nachdenken versunken, eine Zeit lang da,
bis mich der Schlaf übermannte. —

Sehr sonderbar erschien es mir aber, dass ich am
folgenden Tage wie eine Träumende umherging: ich konnte
nicht zu mir selbst kommen, und dieser unangenehme Zustand
schwand nur allmählich; erst am sechsten Tage fühlte
ich mich wieder wohl und wie von einem Banne erlöst.
Einige ähnliche Fälle» die ich jüngst in den „Psych. Stud."
gelesen, gaben mir den Muth, dieses streng der Wahrheit
gemäss erzählte Erlebniss, das für Psychologen von Fach
vielleicht einiges Interesse bietet, zur Veröffentlichung einzusenden
, zumal mir selbst eine Erklärung nicht zu Gebote
steht.

Nachschrift der Red. Wir sind der verehrten
Einsenderin für diesen kleinen Beitrag um so mehr zu Dank
verpflichtet, als derartige genaue Beschreibungen selbsterlebten
Doppelgängerthums ziemlich selten, aber für die
Erforschung der automatischen Seelenzustände von hohem
Werthe sind. Vielleicht die älteste Erwähnung der seltsamen
halluzinatorischen Erscheinung, dass ein Mensch sich
selbst als seinen Doppelgänger vor sich sieht, findet sich
schon bei Aristoteles, der von einem Manne spricht, der sein
eigenes Abbild sich entgegenkommen sieht. Diese Art der
Halluzination ist heutzutage als „Deuteroskopie" oder


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