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576 Psyohisohe Studien. XXXI. Jahrg. 9. Heft, (rfeptembor 1904.)
folgert das naive Bewusstsein, dass wir die Freiheit haben,
das eine wie das andere zu wählen. Dem gegenüber hat
der Determinismus leicht zu zeigen, dass thatsächlich nicht
der Wille zwischen 2 gleich mächtigen Motiven gewählt hat
(wie Buridan's Esel), sondern dass das eine der Motive
eben stärker wirkte als das andere. Trotzdem sträubt sich
das natürliche Gefühl jedes gesunden Menschen gegen den
Determinismus, sobald derselbe die sittliche Beurtheilung
des Willens aufheben, an Stelle des Urtheiis „schiecht" das
Urtheil „unglücklich" setzen will. Dem psychologischen
Thatbestand wird vielmehr ein vernünftiger Indeterminismus
eher gerecht, als ein die sittlichen Werthe leugnender
Determinismus. Also ist, ehe weitergeschritten werden kann,
zu zeigen, in welchem Sinn die Willensfreiheit hier behauptet
, dort bestritten wird- Auch der Determinismus
weiss, dass der Mensch nicht einfach dem nächsten Reiz
folgen muss, sondern dass ihn statt dessen Erinnerungsbilder,
vorgestellte Zwecke bestimmen können. Was er aber dem
Indeterminismus bestreitet, ist die Möglichkeit, dass im
einzelnen Fall statt des einen auch das andere gewählt
werden kann. Der Hauptstützpunkt des Determinismus ist
die Anerkennung des Kausalgesetzes als eines Denkgesetzes,
ohne dessen Geltung die Welt der Erscheinungen sich in
ein Chaos von unzusammenhängenden Veränderungen auf«
lösen würde. Aber er hat sich gegen 3 Eaupteinwände zu
vertheidigen: 1) „Der Mensch hat das Bewusstsein der
Freiheit" — das ist eine Thatsache, aber lediglich eine
psychologische; sie lässt sich auch sehr wohl verstehen,
wenn der Mensch sich in diesem Bewusstsein täuscht, nämlich
aus der Unsicherheit darüber, was er tbun wird. Der
zweite Einwand ist: „Der Determinismus untergräbt die Verantwortlichkeit
." Das ist nicht richtig. Es bleibt die Pein
des inneren Zwiespalts zwischen dem anerkannten sittlichen
Ideal und dem eigenen Thun. Für den materialistischen
Determinismus freilich, für den körperliche und geistige,
natürliche und sittliche Beize gleichwertbig sind, giebt es
keine Verantwortlichkeit mehr, aber nur für ihn! Aber
muss nicht doch 3) der Determinist im sittlichen Kampf erlahmen
, wenn er doch weiss, sein Handeln folgt unverbrüchlichen
Gesetzen? Nein, denn der Mensch weiss ja nie vorher
, wozu er determinirt ist, und es ist nicht einzusehen,
warum er sich für zum Schlechten determinirt halten sollte.
Und statt der Eeue regt sich in ihm die Scham: „bist du
denn wirklich ein so elender Gesell, dass du auch ferner um
augenblicklichen Genusses oder Vortheils willen deine Würde
und Ehre preisgeben wirst ?" Endlich wird dem Determinis-
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