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Dankmar: Geistige and soziale Strömungen eto. 587
liehe durchgeistigter wie bei den Griechen, das Geistige
durchsinnlichter wie bei den Christen zur Erscheinung
kommt." Also Wienbarg erstrebte, angemessen dem Fortschritte
, den das Christenthum gegeben, ein neues europäisches
Griechenthum. Das Sittlich-Gute und das Sittlich-Schöne
sind keine Gegensätze, Kunst und Moral haben den
gleichen Zweck. Die ästhetische Kultur steht ebenso hoch,
wie die ethische; die Kultur, ja die ganze Entwickelung
der Menschheit wurzeln ja in der Kunst. Diese ästhetische
Weltanschauung (wie sie in neuerer Zeit besonders Robert
HamerVmg in seiner „Aspasia" und Hermann Grimm in seinem
„Michel Angelo" und seinem ,,Goethe" vertreten haben)
hinderte Wienbarg aber nicht, für die freiheitliche Entwickelung
einzutreten: in einem unfreien, geknechteten
Gemeinwesen ist die ästhetische Erziehung zur Freiheit,
bei Knebelung der freien Meinungsäusserung in Presse,
Theater u. s. f., ganz unmöglich. Die Erde bietet hinlänglich
Baum und Früchte, um alle menschenwürdig zu
ernähren, man hat nicht nöthig, die grössere Hälfte der
Menschen auf den Himmel zu vertrösten. — Die Wirkung
von Wienbargh Schriften auf die Gutzkow, Laube, Mündt,
Kühne, welche sich schon in ähnlichem Sinne vorher litterarisch
bethätigt hatten und nun in jenen den „Kodex ihrer
eigenen ästhetischen Ueberzeugung begrüssten", war eine
grosse. Fortab waren sie getauft mit dem Namen: „das
junge Deutschland."
Der 3, August 1830 war der Tag einer Preisvertheilung
für eine von der Berliner Universität (philosophische
Fakultät) ausgeschriebene Preisarbeit: „De diis fatalibus".
Rektor Hegel kritisirte „in auditorio maximo" die eingelaufenen
Arbeiten und erkannte den Preis, eine goldene
Medaille, zu: Carolo Ferdinando Gutzkow, Berolinensi. Diesen
junge Scholar, Gutzkow, sollte der Bedeutendste des jungen
Deutschlands werden: ein reflektirender Grübler voll von
leidenschaftlichem Pathos, dem freilich die „Schicksalsgottheiten
" nicht immer zulächeln sollten. In Wissenschaft,
Kunst und sozialem Leben alles Alte, Ueberlebte zu bekämpfen
war stets Gutzkow^ Endzweck, und durch seine
retlektirende Verstandesrichtung fühlte er sich mehr zu Börne
als zu Heine hingezogen. (Er schrieb auch eine Biographie
Börnes). Aber auch m Goethe, dessen geläutert-freie Weltanschauung
immer mehr die kirchliche verdrängte, fühlte
er sich — trotz Börne — hingezogen, indem er für die
Freiheit des heiteren Sinnengenusses eintrat. Hatte Börne
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