http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0599
Dankmar: Geistige und soziale Strömungen eto.
589
hatte der Dichter Manches von seinem eigenen Schicksale
hinein verflochten und das Interessanteste daran sind Uriel
Acosta's Gespräche mit Judith über die Unsterblichkeit der
Seele, die er, als Saduccäer — bekanntlich wiesen diese ja
den ganzen eschatologischen Apparat der Pharisäer ab —
absolut verwirft. Die Gründe, welche Uriel dagegen vorbringt
, sind allerdings recht fadenscheinig und geistlos. —
Da das Zeitgemässe Gutzkow damals höher stand, als das
Bühnenwirksame, so war sein erstes Theaterstück ein un-
aufführbares Buchdrama: „Nero, Tragödie" (Stuttgart, 1835),
ein phantastisches Satirspiel; das Historische ist nur der
Nagei, an dem dies Gemälde hängt; die christliche Römer-*
familie spricht im Berliner Dialekt; das Ganze wendet sich
gegen das romantische Cäsarenthum in der Person des
damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm. — Ungefähr zu
derselben Zeit entstand die dramatische Phantasie, wie der
Autor es nannte: B Hamlet in Wittenberg"*), ein interessantes
Experiment, aber ohne künstlerische Bedeutung,
wozu Gutzkow Bemerkungen in Tiectfs Shakespeare-Kritik
gereizt hatten. Der Dichter hat den interessanten Einfall,
Harntet (und Horath) in Wittenberg, als Studenten, mit
Faust und Mephistopheles zusammenzubringen; letzterer erscheint
in Gestalt „ Praestigiators", des Pudels Fausfs. Auf
die Frage Hamlet's n Weckst du nur Todte ?a antwortet Faust:
„Auch Lebendige* und gaukelt ihm Ophelia's Phantom vor,
mit dem sich Hamlet mystisch-sinnlich vermählt.
Indem wir uns der Betrachtung von Gutzkow** Roman:
„Wallydie Zweiflerin", der 1835 zu Mannheim erschien, zuwenden
, gelangen wir nicht nur zu einem traurigen Punkte in
dieses Dichters Leben, sondern zu einer Katastrophe, welche
das gesammte „Junge Deutschland" betraf. Theilweise hatte
Rahel mit ihrem grübelnden Verstände, ihrer Zweifelsucht,
theilweise auch der Selbstmord von Charlotte Stieglitz**) den
Dichter bei Abfassung dieses Romans beeinflusst. Die
Heldin desselben hat von beiden Etwas; in dem Helden
Cäsar wollte der Dichter die zersetzende Wirkung des Ver-
*) Karl Gutzkow % Gesamm. Werke. Vollständig umgearbeitete
Ausgabe. Frankfurt a. M. I. u. II. Band.
**) Charlotte Stieglitz geb. Wdlh'ift, eine Hamburgerin, war seit
1828 mit dem Dichter Heinrich Stieglitz verheirathet. Als dessen
Dichterkraft» welche Charlotte in ihrer Liebe uberschätzte, erlahmte,
versiegte, wollte sie, eine ebenso geistvolle, als überspannte Dame,
ihn durch einen tiefen Schmerz zur tragischen Höhe des echten
Dichterthums erheben und erdolchte sich am 29. Dez. 1834. Sie
hatte den Schwächling für einen „Märtyrer der Ehe" gehalten und
sich vergeblich geopfert; doch der heroische Opfertod der Edlen
machte ungeheueres Aufsehen.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0599