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590 Psychische Stadien. XXXI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1904.)
Standes bei einem blasirten Idealisten, der an seinen
Idealen verzweifelt, zeigen. Hat diesem das Leben, die
Zeit seine Ideale geraubt, so hat die Salondame Wally, mit
ihrer oberflächlichen Erziehung, seinem Skeptizismus nichts
Positives, Gesundes entgegenzusetzen und sie „verzweifelt
an den Zweifeln" Cäsar's. Ein hoffnungsloser Skeptizismus —
das war die Signatur dieses Zeitalters! Proelss sagt mit
vollem Rechte: „Gutzkow's „Wally" hat den gleichen Anspruch
, wie „W^rther", aus dem Geists ihrer Zeit und als
ein charakteristisches Merkmal dieser Zeit gewürdigt zu
werden." Beiden gemein ist auch der Selbstmord der
Heldin resp. des Helden. Die Handlung hat uns hier nichts
zu kümmern. Wir erwähnen aus dem I. Buche nur die
Geschichte, welche Cäsar in Schwalbach seiner Wally erzählt
: daselbst hatte ein Nassau'scher Trommler eine Schöne
geliebt, diese hatte ihn aber, nach anfänglicher Begünstigung,
eines Anderen wegen verlassen. In der Hochzeitsnacht
trommelt er vor ihrem Fenster und „es klang wie zum
Grab so hohl unter ihrem Fenster." Vor Entsetzen reisst
sie das Fenster auf — draussen Alles still! Wenige Tage
darauf zieht man den Leichnam des Tambours aus dem
Rhein. Seitdem litt die Ungetreue an einem „unheilbaren
Uebel. Hätten die Aerzte nicht schon zuweilen ähnliche
Beobachtungen gemacht, so würde man versucht sein, hier
an einen Spuk, an eine Rache des gespenstischen Tambours
zu glauben." Bei Tage hört die Frau ein dumpfes Murmeln,
bei Nacht jedoch ein Trommeln und sieht den kleinen
blassen Tambour mit seinem Instrumente: überall hin, in
Haus, Garten, Hof und Wald verfolgt sie das Gespenst.
Wally sieht die Rasende und aus Schrecken über ihren
Tod reist sie ab. Aus dem Glaubensbekenntnisse Cäsar's
„Geständnisse über Religion und Christenthum", eine Art
„Wolfenbütteler Fragmente", wollen wir noch — da sie es
hauptsächlich waren, welche dem Dichter Anklage und
Gefängnissstrafe eintrugen, einige Hauptgedanken anführen:
„Jesus war nicht der grösste, aber der edelste Mensch,
dessen Namen die Geschichte aufbewahrt hat ... die
Apostel übersahen, wie sehr die Mehrzahl der Wunder
Jesu, welche eher auf einen Eskamoteur, als auf einen
Propheten schliessen lassen (ich erinnere nur an die Fabel
vom dem Stater im Leibe eines Fisches) das göttliche
Gepräge ihrer Erzählungen verwischen. Jesus wurde ein
Wunderthäter und er machte als solcher anter den
Heiden ein Glück, das Apollonius von Tyana auch gehabt
hätte, wäre ihm Jesus nicht in der Zeit zuvorgekommen
.... Als der Begriff Kirche erfunden war,
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