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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen ete. 591
als Konzilien und Würdenträger eingesetzt wurden, da
hatte sich die Lehre Jesu in eine neue Art von Heidenthum
verwandelt, in Mythologie auf der einen, Aristotelis-
muß auf der anderen Seite. Zwischen beiden wucherte die
Mystik, keine ursprüngliche christliche Pflanze, sondern
arabisch-jüdiseh-kabhalistisches Gewächs, das in der Philosophie
als Piatonismus wieder zum Vorschein kam. Das
Christenthum, insofern es von Priestern und Mönchen
repräsentirt wurde, war auch nicht einmal eine Religion
mehr, sondern nur noch V o r w a n d einer politischen
Tendenz des Zeitalters. ♦ ♦ . Die Wittenberger Reformation
war ein grosser Portschritt der Menschheit; . . für
das Christenthum geschah in der Reformation Alles, für
die Wahrheit und den gesunden Menschenverstand und die
Naturreligion aber nichts» . . . Das Lutherthum an und
für sich selbst nahm früh eine servile Richtung. Es stritt
für das göttliche Recht der Pürsten ebenso sehr, wie es
seine eigenen Satzungen in ein legitimes unantastbares
Gewand zu kleiden suchte. Thomas Münzer schalt mit
Recht auf Luther, den Papst von Wittenberg." — Und
Cmai-Gutzkow schliesst: „Wir leben in der Zeit des
heiligen Geistes, von dem Christus selber sagt, dass er
uns in alle Wahrheit führen und freimachen würde. So
scheint es auch Christus gewusst zu haben, dass die Geschichte
immerdar ihre eigene Autorität bleibt, dass der
Weltgeist rastlos wirkt und in uns schafft und die Wahrheit
zuletzt nur der Gottesdienst im Tempel der Freiheit
ist." Schon als Gutzkow — zum grössten Zorn aller „glatt
gescheitelten Orthodoxen1* — Schi'eierwachet*'s (bei Henriette
Herz erwähnten) „Vertrauten Briefe über Schlegefs Lucinde"
neu herausgegeben hatte, hatte das Vorwort geschlossen:
„Ach, hätte auch die \V elt nie von Gott gewusst, sie würde
glücklicher sein I4' — Nun erhob sich in pharisäisch-poltern-
dera Tone Gutzkow? 8 ehemaliger Mitstreiter W. Menzel gegen
diesen. Menzel, der schon gegen Gutzkow, wegen dessen
litterarischer Erfolge, Neid empfand, auch wohl Angst
hatte, Gutzkows in Aussicht gestellte neue litterarische Revue
könne seinem eigenen Blatt den Rang ablaufen, und der
endlich mit dem Minister von Rochow (Preussen) in Verbindung
stand, besorgte hier Regierungsarbeit: er trieb
das Wild den Jägern zu. „Unmoralische Litteratui" nennt
er wegen der Tschionatulander-Szene*) nicht nur die „Wally",
*) Im ^älteren Titurel", dem Fragmente „Tschionatulander",
gedichtet von Wolfram von Eschenbach, niedergeschrieben und fortgesetzt
von Albrecht von Schafftenberg, kommt eine hochpoetische
Szene vor, in der Siyune, um den abschiednehmenden geliebten
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