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600 Psychische Studien, XXXI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1904. >
Am 7. Juni 1840 hatte Friedrich Wilhelm IV. den
Thron Preussens bestiegen. Er stand sozusagen, als Kronprinz
, im Gerüche des Liberalismus, aber man weiss, was
derlei bei Thronfolgern besagen will. Reiehthum des Wissens
zeichnete ihn aus, er war ein gebildeter, geistvoller Mann,
der es liebte, seinen sarkastischen Witz spielen zu lassen
und sich selbst gern sprechen hörte; aber dem Schwünge
seiner Rede entsprach nicht die Stetigkeit seines Willens,
Heine hat ihn trefflich charakterisirt mit dem Satz: „Wenn
ich gestern vorwärts ging, so ging ich rückwärts heute."
In der äusseren Politik war Preussen damals nicht viel
mehr, als eine Satrapie seines grossen <östlichen Nachbars:
,?Väterchen" Nikolaus war allmächtig. In der inneren Politik
zeichnete Friedrich Wilhelm IV. eine zerfahrene Vielgeschäftigkeit
aus und schon aus seiner bekannten Berliner Rede
(vom 15. Oktober 1840) wollten Hellhörige die Ablehnung
der von seinem Vater dem Volke versprochenen Verfassung
heraushören. Für nationale Strebungen zeigte er allerdings
Sinn und Herz, wie seine durch General von Radowiiz in
Wien gemachten Vorschläge und seine schöne Kölner
Dombau-Rede bewiesen. Jedoch ein Abweisen aller Zugeständnisse
betreffs freiheitlich-zeitgemässer Gesetzgebung
trat bald deutlich hervor und zeigte sich auch in der Berufung
des muckerhaften Reaktionärs Eichhorn zum Kultusminister.
Im scheinbaren Widerspruche dazu stand es, dass der
König regen Antheil an vielen künstlerischen und wissenschaftlichen
Bestrebungen nahm und sich eine Zeitlang
wohl auch der Idee hingab, seinen glänzend gehaltenen
Hof durch Heranziehung von Künstlern und Gelehrten zu
einem Musterhofe k la Weimar zu erheben. Zeit und Ort
waren dem freilich nicht günstig. Ausserdem war da schon
Ludwig I., der seit 1825 den bayrischen Königsthron innehatte
, und in München die Cornelius, Schnorr von Carolsfeld,
Moritz v. Schwind, Richter u. s. f., um sich gesammelt und so
ein Kunstzentrum geschaffen hatte, zuvorgekommen. — Am
Hofe Friedrich Wilhelm's IV. las der alte, gelähmte Tieck,
dem der König einen sorgenfreien Lebensabend geschaffen
hatte, in meisterhafter Weise vor und der König liess auch
seinen „gestiefelten Katei" wieder aufführen, der dem
Publikum freilich nicht zusagte. De la Motte Fouqui spielte
eine Rolle*) und Fr. Rückert wurde, wie wir schon gehört,
*) Dabei muss auf einen Schreibfehler, resp. eine Weglassung
aufmerksam gemacht werden, welche sich im Theil B. (September-
Heft 1902, p. 524) findet. Es soll da statt guter Hasser und guter
Freusse heissen: „als guter Hasser der französischen Revolution
und guter Preusse."
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