http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0618
608 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 10. Hett. (Oktober 1904.)
Ein weiterer Fall von Katalepsie aus alter Zeit,*)
Aus dem April-Heft des „Journ. Encyclopedique" von 1769.
Uebersetzt und mitgetheilt
von Graf C . Klinckowstroem.
Den folgenden interessanten und lehrreichen Fall erzählt
uns ein Arzt Namens Crette als Gegenstück zur
„sonderbaren Krankheit des unglücklichen Chaudeson", über
welche ich leider nicht Bericht erstatten kann, da mir der
Jahrgang 4768 des „Journal Encyclopediquea, in dessen
Dezembernummer sie wiedergegeben ist, nicht vorliegt.
Vielleicht ist ein anderer Leser der , Psych. Studien" so
glücklich, unter verstaubten und vergilbten Schriften einer
älteren Bibliothek diesen Jahrgang der genannten Zeitschrift
zu entdecken, die im 18. Jahrhundert ziemlich bekannt gewesen
sein muss.
Was wir hier aus den Bemerkungen Crette's über
Chaudeson's jedenfalls sehr peinvolles Leiden entnehmen
können, ist nicht viel. Unter Berufung auf Fernelius stellt
unser Gewährsmann fest, dass es sich dabei um kataleptische
und nicht um epileptische Erscheinungen gehandelt habe,
und vergleicht diese Krankheit mit der vom alten Galenus
beobachteten und „Catoche" (d. i. wohl xaroxtf) genannten
Starrsucht. Ueber Chaudeson's Leiden scheinen die Aerzte
damals ziemlich im Unklaren gewesen zu sein, was Dr. Crette
zu dem ehrlichen Geständniss veranlasst, dass „die Mediziner
noch sehr weit von der Wahrheit entfernt seien", „denn man
hätte Chaudeson's Krankheit nicht einmal Katalepsie und
Schlafsucht (coma), ein andermal Epilepsie nennen können,
wenn die Aerzte wenigstens über die hauptsächlichsten
Symptome dieser Krankheiten unterrichtet gewesen wären."
Dann berichtet er über einen von ihm selbst mitbeobachteten
Fall von Katalepsie, den ich in wortgetreuer
Uebersetzung folgen lasse:
„Die Eltern eines siebenjährigen Knaben machten die
Bemerkung, dass dieser einige Tage, nachdem er von Schulkameraden
heftig erschreckt worden war, in auffälliger
Weise gleichgiltig, indolent, einfältig und gewissermaassen
idiotisch wurde. Sie gingen der Sache auf den Grund und
entdeckten zu ihrem nicht geringen Erstaunen, dass das
Kind jeden zweiten Tag eine Zeit lang in einen Znstand
gerieth, in der es weder Gefühl, noch Bewusstsein, noch
Bewegung zeigte und mit unbeweglichen, weitgeöftneten
Auaen in der Stellung verblieb, in der es sich gerade be-
*) Vergl. Okt.-Heft vor. Jahres S. 606 ff. — E ed.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0618