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618 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 10. Heft, (Oktober 1904.)
verbinden, so wird Wärme oder Wärme und Bewegung
(z. ß. beim Entzünden des Pulvers in einem Schiessgewehr)
frei, mithin ist aus der latenten oder potentiellen Kraft
aktuelle, bezw. kinetische Energie geworden; es besteht
also nicht blos zwischen den verschiedenen Formen der
Energie (= aktuelle Kraft), sondern auch zwischen latenter
und aktueller Kraft ein bestimmtes Verhältniss.
Dulong, Petit und Neumann zeigten z. B., dass eine gewisse
Grösse chemischer Verwandtschaft einer gewissen
Menge von Wärme entspricht; nach Faraday entwickelt ein
gewisses Maass chemischer Kraft ein gewisses Maass von
Elektrizität; die Physiologie zeigt, wie ein gewisses Quantum
lebendiger Kraft entspricht.*) Gegentiber solchen
Thatsachen also trat man alsobald mit der Folgerung hervor
, „es gäbe überhaupt nur Umwandlungen von
Kraft, die Menge derselben bleibe aber im Allgemeinen
stets dieselbe."
Dabei übersah man jedoch die wichtige Thatsache,
dass es sich bei allen solchen Beobachtungen um gegebene
, bedingte oder relative, nicht aber um
absolute Grössen handelt, und dass jene letzterdings
einer unbestimmt grossen, in quantitativem Sinne als X dastehenden
Kraftquelle entspringen können, mithin von einem
bestimmten „Vorrath" der latenten Kräfte der Natur gar
keine Rede sein kann. Dieselben sind unerschöpflich,
viele von ihnen uns derzeit sogar noch gänzlich unbekannt;
mithin ist man berechtigt, nur von einer Menge der uns
bekannten aktuellen Kräfte zu reden; diese aber nimmt
stetig zu, weil im Laufe des Weltprozesses immer mehr
latente Kraft in aktuelle verwandelt wird, erstere selbst
aber dabei nicht abnimmt, was uns nunmehr die nachfolgenden
Erörterungen beweisen sollen.
Sowohl die belebte, als selbst die unbelebte Natur
liefert uns auf Schritt und Tritt Beispiele, die mit einer
,,Begrenztheit der Kraftmenge" unvereinbar sind.
Betrachten wir nun fürs Erste
I. Die unbelebte Natur, und zwar zunächst
1) Die physischen Kräfte derselben.
Erwähnenswerth ist hier, dass einer der grössten Physiker
des 18. Jahrhunderts {Euler**) bereits die Undurchdringlichkeit
der Materie für eine unerschöpfliche
Kraftquelle erklärte, da die Materie, indem sie sich der
*> Dass dies übrigens nicht im unbedingten Sinne zu verstehen
ist, darüber später mehr!
**) S. Enlefs 78. Brief an eine deutsche Prinzessin.
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