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632 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1904.)
oder, wie es auch manchmal vorkommt, in wachem Zustande,
so waren es Gedanken des Unbewussten, die Form und
Farbe angenommen hatten. Mit Geistern und Gespenstern
haben die Halluzinationen nichts zu thun, und selbst wenn
irgend jemand in finsterer Nacht einmal Gespenster gesehen
hat, so ist es nur seine Angst vor Gespenstern, sein geheimer
Glaube an diese Dinge, der diese Bilder vor seine
Seele gezaubert hat.
Wir sind heute in der glücklichen Lage, ähnliche geheimnissvolle
Erscheinungen auf einfache, natürliche Weise
erklären zu können. Denn nicht nur unsere eigenen Gedanken
können diese Sinnestäuschungen hervorrufen. Nein,
auch fremde Gedanken sind im Stande, auf
telepathischem Wege Halluzinationen zu erzeugen
. Wir wissen es jetzt, dass das Gehirn in seiner
Thätigkeit jene erst in jüngster Zeit erforschten N-Strahlen
aussendet, welche gleich den Kadiumstrahlen eine grosse
Geschwindigkeit besitzen und durch die verschiedensten
Stoffe hindurchgehen können. Professor Blondlot in Nancy
hat diese N-Strahlen entdeckt und sie auf einem dazu
präparirten Schirme zahlreichen Gelehrten demonstrirt. Wenn
die Versuchsperson sprach, so leuchtete die Gegend des
Sprachzentrums hell auf, Je intensiver das Gehirn arbeitete,
desto deutlicher wurde die Leuchtkraft der N-Strahlen.
(Vergl. Aug.- und Sept.-Heft der „Psych. Stud.'*)
Lange noch vor Kenntniss dieser N-Strahlen haben
die englischen Forscher Gurney^ Myers und Porfmore eine
Reihe von telepathischen Halluzinationen gesammelt, dieselben
einer strengen Kritik unterzogen, Zeugen verhört und
keinen Fall der Oeffentlichkeit übergeben, der nicht die
Feuerprobe einer strengen, objektiven, kritischen Prüfung
bestanden hatte. Sie thaten dies im Auftrage der nSociety
for Psychical Research", die zahlreiche führende Geister der
englischen und französischen Gelehrten weit als Mitglieder
aufweisen konnte. Ich nenne hier nur die Namen Sidgwick,
Adams, WiViam Crookes, W. E. Gladstone, John Ruskin* Lord
TennysoHj Alfred Russell Walluce* Watts, ßraunisf Bernheim,
Pere, Janet, Litbeault* Ribot, Richet, H. Tatne. „Es war ein
kühner Versuch*4, sagt der berührte iraiuösische Neurologe
Gh. Richet in seiner Vorrede zu dem bereits in dritter Auflage
erschienenen Buche „Les Hallucinations telepathiquesa,
„welcher die grösste Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit verdient
. Sicherlich haben wir das Recht, auf unsere Wissenschaft
stolz zu sein. Aber vergleichen wir das Wissen von
heute mit dem vor 4ü0 Jahren, so müssen wir den Siegeszug
bewundern, den die Alenschheit in dieser kurzen Zeit
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