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642 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 10, Heft. (Oktober 1904.)
Kalenders in sich trägt, so genügt es, dass man ihn fragt;
Auf welchen Tag fiel der 20. Februar 1811?, um bei ihm
ein innerliches Ablesen in seinem Gedächtniss zu veranlassen
, und er antwortet, ohne sich je zu irren. Im Laufe
dieser merkwürdigen Sitzung hatten sich drei Tafeln mit
Zahlen bedeckt. „Um Ihnen zu beweisen," erklärte ßiamandi,
„dass ich jetzt alle diese Zahlen inne habe, werde ich sie
Ihnen aufzählen." Er schloss die Augen und sagte lächelnd
eine nach der anderen der Zahlen her, genau in der Reihenfolge
, in der sie angeschrieben waren. Die Sitzung, die
kaum eine Stunde dauerte, machte auf die Zuschauer einen
grossen Eindruck. („N. W. J." vom 4. ,11. er.)
A) Mörike & \$My stiker. Dass ein so tiefangelegter
Gefühlsmensch, wie der nunmehr vor 100 Jahren (am
8. Sept. 1804) in Ludwigsburg geborene, gleich sehr durch
Formvollendung, wie durch Innigkeit des Gefühls ausgezeichnete
Dichter Eduard Mörike auch mystischen Anwandlungen
zugänglich war, erhellt aus seinen zahlreichen (von
Karl Fischer u. Rud. Kraus* in 2 Bdn. bei Eisner in Berlin
veröffentlichten) Briefen, die uns einen Blick in die geheime
Werkstätte dieses herrlichen Geistes thun lassen. So
schreibt der schon Sechzigjährige an seinen alten Jugendfreund
Hartlaub: „Zur Zeit, als ich in Tübingen mit Albert
Rheinwald viel umging, verbrachten wir einmal, wie öfters,
die halbe Nacht bei einem starken Thee auf meiner Stube
Jerusalem [im evangelischen Stiftj in allerlei meist heiterer
Unterhaltung. Eine Weile war sehr ernsthaft von unserer
Zukunft die Rede, die beiderseits äusserst unsicher, eigentlich
ziel- und bodenlos vor uns lag. Wir hätten herzlich
gern gewusst, ob denn auch irgend etwas aus uns werde,
das den Neigungen und Wünschen eines Jeden ungefähr
entspräche. Zwischen Scherz und Ernst befrug ich das
Schicksal um mich, indem ich den nächsten besten Theil
des deutschen Shakespeare vom Bücherständer nahm und
mit dem Daumen hineingriff . . . Achill: „Antwort, ihr
Götter!" Keklor: „Nicht ziemen würd' es heiligen Göttern,
Antwort zu geben solcher Frage. Sprich! glaubst Du?"
Achill: „Ja, sag ich Dir." Hektor: „Und wärst Du, solches
kündend, ein Orakel, nicht glaubt1 ich Dir." Was hältst
Du nun davon? Entweder ist es purer Zufall — und das
wirst Du wohl sagen — oder ich kann es nur mit meiner
alten Hypothese von einer doppelten Seelen-
thätigkeit erklären."
t) Eine neue Entdeckung. Aus Prag wird
dem „ß. T." (laut „Leipz. Tageblatt" Nr. 460 vom 9. September
er.) berichtet: „ \V ie der Professor der hiesigen böh-
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