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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen eie. ($59
ansehauung erhoben; der beste Beweis dafür ist sein „Kosmos
" (1845—48,4 Bde.), das grossartige Glaubensbekenntniss
eines tiefen, weltumspannenden Geistes 1 In vollendeter
Sprache geschrieben, vermeidet der „Kosmos"*) ebenso
encyclopädische Oberflächlichkeit, wie aphoristische Kürze.
Gleich im Vorworte (VI.) liest man, dass der Autor sich
von dem Bestreben leiten Hess, „die Erscheinungen der
körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange,
die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes
Ganze aufzufassen." Und ferner (I, 80): „durch
Trennung und Unterordnung der Erscheinungen, durch
ahnr ngsvolles Eindringen in das Spiel dunkel waltender
Mächte, durch eine Lebendigkeit des Ausdrucks, in dem
die sinnliche Anschauung sich natuiwahr spiegelt, können
wir versuchen, das All (ro Jtäv) zu umfassen und zu beschreiben
, wie es die Würde des grossartigen Wortes
Kosmos, als Universum, als Weltordnung, als Schmuck
des Geordneten erheischt." II, 235 wird erläutert, wie das
Christenthum das Gefühl von der Einheit des Menschengeschlechts
begünstigt hat, und Humboldt tadelt es, dass
selbst bei christlich sich nennenden Staaten die persönliche
Freiheit ganzer Menschenklassen keinen Schutz gefunden
habe. Und er fügt hinzu: „Das Prinzip der individuellen
und der politischen Freiheit ist in der unvertilgbaren Ueber-
zeugung gewurzelt von der gleichen Berechtigung des einigen
Menschengeschlechts." Als Leitwort aber ob dem ganzen
Lebenswerke des Altmeisters kann in Wahrheit der Satz
stehen: Kenntniss des Einzelnen — Erkenntnis des Ganzen!
Am 8. Mai 1903 haben wir den hundertjährigen Geburtstag
des grössten aller chemischen Forscher, den Deutschland
je gehabt, den Geburtstag des Darmstädters Justus
v. Liebig gefeiert. Ihm (und Wähler) verdankt die Chemie,
als Wissenschaft, ihre Wiedergeburt. Was Liebig als Lehrer
geleistet, wie er die ganze heutige Generation der Chemiker
nachhaltig von seinem kleinen Laboratorium zu Giessen
und später von München aus beeinflusste, das sei hier nur
kurz erwähnt. Durch seinen Nachweis der Wichtigkeit der
Mineralstoffe für das Pflanzenwachsthum hat er unendlich
zur Hebung der Agrikultur beigetragen. Er ist ein Wohl-
thäter der Menschheit geworden durch seine Untersuchungen
über das Fleisch und die Zusammensetzung der Muskelfasern
. (Liebig*sches Fleischextrakt!) Er ist, wie gesagt,
ein Reformator der Chemie: er entdeckte z. B. das Chloro-
*) Alexander von Humboldt: „Kosmos. Entwurf einer physischen
Weltbeschreibung." (Stuttg. u. Tübingen. 1845-62. 5 Bände.)
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