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672 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 11. Heft. (November 1904.)
die ausserhalb des sog. Kabinettes sass und von mir trotz
der schwachen Beleuchtung ganz gut gesehen werden konnte,
nach dem Namen einer schwarz gekleideten Dame, die
näher an das Kabinett kommen sollte. Herr v. B. nannte
zuerst zwei andere Namen, die aber nicht der gewünschte
waren, und dann den meinigon, worauf ich mit ihm den
Platz wechselte. Da ich alsbald in nächster Nähe kurze
Zeit das Angesicht meines verstorbenen Vaters sah, dachte
ich begreiflicherweise mehr an ihn, als an meinen Sohn.
Nach einer Weile fühlte ich, dass zwei Hände auf meine
Schultern gelegt wurden. Ich streckte meine Hand aus,
worauf sie von einer sehr grossen, in feinen Schleier eingehüllten
Hand erfasst wurde. Dies machte mich stutzig, da
mein Sohn ungewöhnlich grosse Hände hatte. Die Hand
wollte mich in das Kabinett ziehen; da wir jedoch gebeten
waren, unsere Plätze nicht zu verlassen, blieb ich leider
sitzen. Ich bin nämlich überzeugt, dass mein Sohn andernfalls
sich mir noch viel vollständiger geoffenbart hätte, als
es so der Fall war. Als ich nun nicht folgen wollte, um-
fasste er mit dem anderen Arm meinen Leib, hob mich
vom Sitz empor und drückte mich fest an seine Brust, um
mich dann auf eine meinem Sohne ganz eigentümliche
Weise zu liebkosen und zu küssen. Dabei drückte er seine
Wange so fest an die meinige, dass ich die Falten und die
Gewebeart des Schleiers fühlte, in den er gehüllt war.
Nun hatte ich die Gewissheit, dass es kein lebendes Wesen
war, von dem ich so geliebkost wurde. Konnte es aber
nicht ein anderer Geist sein, der die Rolle meines Sohnes
spielte? Ueber diese Möglichkeit war vor einiger Zeit in
einem Freundeskreise diskutirt worden. Um nun ganz
sicher zu gehen, sagte ich: „Küsse mich auch einmal in
Jesu Namen!" Da küsste er mich, wie er es in der Kirche
beim A bendmahl oder bei ähnlichen Gelegenheiten stets zu
thun pflegte, auf die Stirne. Ich überschüttete seine Hand
mit Küssen und wollte sie nicht mehr loslassen. Während
ich sie aber so fest hielt, als ich nur konnte, löste sie sich
in der meinigen langsam auf, bis ich schliesslich nichts
mehr fühlte, sondern nur sah, wie eine lange weisse Gestalt
im Kabinett verschwand. Kaum hatte ich wieder Platz genommen
, als ein grosses Stück Schleier auf meine Kniee
geworfen wurde; er roch ebenso wie der, in den mein Sohn
gehüllt war, nach Erde und jenem Gas, das man bei der
Erzeugung der Elektrizität riecht. Gleich darauf wurde
eine der Gardinen, mit welchen das Kabinett verhängt war,
gegen mich bewegt, wobei ich hinter ihr eine Gestalt wahr-
nahm. Nachdem ich selbst so reich beglückt worden war,
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