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678 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 11. Heft. (November 1904.)
Form begünstigt, mobil gemacht, also erscheint eine gewisse
neue Portion aktiver Energien, und doch ist von keinem
Verschwinden der diese Energien liefernden latenten
Kräfte die Rede: Metall bleibt Metall, Glas bleibt Glas usw.;
sie können unbestimmte Zeiträume lang funktioniren, ohne
ihre Grundeigenschaft einzubüssen. ferner sind die nun
entstandeneu Energien keineswegs etwa blos eine Um-
giessung der bei dem Verfertigen jener Dinge aufgewandten
äusseren Kräfte (z. B. Schmelzwärme), auch nicht der dabei
vollbrachten menschlichen Arbeit; wären letztere Kräfte in
derselben Quantität und Qualität, aber bei einem unge-
geeigneten Stoff zum Anfertigen des gegebenen Gegenstands
angewandt worden, so wäre dabei nichts herausgekommen. —
2, Nehmen wir schliesslich die chemischen Kräfte
in ihrer Gesammtheit, so haben wir zu bemerken, dass
es sich auch hier um eine quantitativ unbegrenzte Kraftanlage
des Stoffs handelt und dass deren Mobilmachung,
d. h. das thatsächliche Zustandekommen und Zusammenhalten
der Verbindungen die Menge der aktuellen Energie
im Haushalte der Natur steigern muss. Denn zunächst
wird man doch zugestehen, dass, so lange gewisse chemische
Elemente, z. B. Schwefel, Kohlenstoff, Quecksilber, Silber,
Gold u. s. w. irgendwo in der Erde, in einer indifferenten
Umgebung lagen, d. h. in einer solchen, wo sich keine nahe
verwandten Stoffe vorfanden oder wo die sonstigen Bedingungen
für das Zustandekommen einer chemischen
Verbindung zu ungünstig waren, auch die Energie (z. B.
die Wärme), welche sich bei thatsächlicher Verbindung
hätte entwickeln können, im Haushalte der Natur noch
nicht da war; dass also letztere um so reicher an Energie
werden muss, je mehr chemische Elemente im Laufe der
Zeit in einfache Verbindungen und je mehr von letzteren
in komplizirte übergehen. Und zwar müssen hier nicht
bloss die dabei frei werdenden Mengen von Wärme, Bewegung
u. s. w. in Betracht genommen werden, sondern
noch weit mehr die höheren Eigenschaften, die
den höheren chemischen Verbindungen im Allgemeinen zukommen
. Man bedenke z. B., welcher hohen Funktionen
organische Stoffe fähig sind, indes die ihnen zu Grunde
liegenden Elemente und einfachere Verbindungen dazu untauglich
sind, wenn ihnen auch gewisse chemische oder physische
Eigenschaften zukommen, die bei jenen nicht mehr
hervortreten. Ferner ist es durchaus unrichtig, blos in der
sich beim Zustandekommen einer chemischen Verbindung
entwickelnden Wärme u. dgL ein Aequivalent der Affinitätskraft
sehen zu wollen.
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