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680 PsyeMsehe Studien. XXXI. Jahrg. 11. Heft. (November 1904.)
kräfte ungeschwächt. Auch ist dabei festzuhalten, dass
jene äusseren Bedingungen, welche die Verbindung zum
Zerfallen bringen, nicht der Art zu sein pflegen, dass man
etwa in ihnen die Quelle der wiedererscheinenden chemischen
Kraft suchen könnte. Eine einmalige Einwirkung von
Wärme, Licht u. dgl. kann zwar die Wirkung der chemischen
Kräfte so oder so beeinflussen, aber es wäre mehr
als gewagt, in den dabei verbrauchten Mengen von Wärme,
Licht u. s. w. ein Aequivalent der von den Stoffen unzertrennlichen
Affinitätskräfte sehen zu wollen. Ferner kommt
die Zersetzung in vielen Fällen einfach in Folge einer
anderen örtlichen Vertheilung der Stoffe zu Stande. Ein
Stoff, der zu einem der Stoffe einer gewissen Verbindung
eine stärkere Verwandtschaft als die übrigen hat, aber bisher
durch eine, wenn auch unbedeutende Entfernung abgehalten
wurde, seinen Verwandtschaftsdrang zu befriedigen
, kommt jetzt in Folge einer höchst unbedeutenden
äusseren Ursache in Berührung mit der Verbindung und
zersetzt sie sofort. Es hat z. B. ein Stück Eisen hart über
einer Lösung von Kupfervitriol gelegen, ohne auf sie einwirken
zu können; jetzt kommen beide in Folge einer minimalen
mechanischen Erschütterung in Berührung mit einander
, so beginnt sofort metallisches Kupfer sich an der
Oberfläche des Eisens niederzuschlagen. — Endlich können
Zersetzungen gelegentlich, anstatt durch Uebertragung von
Energie, auch durch Entziehung von Druck, Wärme, Licht
u. s. w. vor sich gehen.
XIV.
Wenn uns nun schon die unorganische Natur auf
Schritt und Tritt belehrt, dass von einer bestimmten und
„beständigen" Kraftmenge des Universums offenbar keine
Rede sein kann, so gilt dies noch viel mehr für die
organische.
Gleichzeitig mit meiner schon citirten Arbeit erschien
über dasselbe Thema eine von Moritz Carriete in den Ab-
handl. der köngl. bayr. Akademie der Wissenschaften 1802
unter dem Titel: „Das Wachsthum der Energie in der
geistigen und organischen Welt." In dieser interessanten
Schrift spricht sich dieser hervorragende Philosoph und
Aesthetiker dahin aus, dass für die unorganische Welt blos
das Gesetz von der Erhaltung, für die organische und
geistige aber das des Wachsthunis der Energie gelte,
und erklärt letzteres durch die Thatsache des Gedächt«
nisses, welches nach ihm nur der Seele, nicht aber der
anorganischen Natur zukommt. Diese strenge Abgrenzung
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