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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 681
der beiden Gebiete ist jedoch nicht stichhaltig. Das Wachsthum
der Energie bekundet sich, wie wir sahen, ebenso gut
in der unbelebten Natur, und andererseits ist das Behalten
oder Permanentwerden nicht die einzige Quelle der Entwicklung
in der belebten.
Bedenkt man im Ernste die Folgerungen, welche
sich aus der Thatsache der Entwickelung ergeben, so
mus8 Einem die Selbstverständlichkeit der Zunahme von
Energie so klar erscheinen, dass man sich nurmehr, anstatt
des Energieproblems, ein psychologisches Problem zu stellen
geneigt fühlt, d. h. man fragt sich, wieso es dahin kommen
konnte, dass nicht etwa blos Physiker, sondern biologisch
geschulte Köpfe, wie Roberl Mayer, ßelmholtz, H. Spencer —
der Kleineren gar nicht zu gedenken — eine so grosse
Reihe widerspenstiger Thatsachen einer voreiligen Hypothese
zuliebe unbeachtet lassen konnten. Als Helmholtz sein vermeintliches
Gesetz von der Unveränderlichkeit der Kraftmenge
im Weltall — wobei sogar das organische Wirken
mit einverstanden ist — gefunden hatte, sagte er nachträglich
: „Ich glaubte etwas ganz Selbstverständliches gefunden
zu haben und war sehr überrascht, als unter anderen auch
die Berliner Akademie der Wissenschaften es für unsinnige
und thörichte Spekulation hielt." Wir wollen diese harten
Attribute nicht wiederholen, doch ist es uns jetzt sehr einleuchtend
, warum sich die damaligen Mitglieder der Berliner
Akademie nicht so leicht herbeiliessen, eine Lehre zu
adoptiren, die so vielen unlösbaren Widersprüchen die Thür
öffnet.
Schon seit geraumer Zeit gehören die sich auf die
Entwickelung (Evolution) beziehenden Thatsachen
zu den Grundlagen der Biologie; selbige widersprechen
aber der Annahme einer begrenzten und konstanten
Kräftesumme auf das Entschiedenste, so dass man
sich nachgerade nur wundern kann, wieso selbst Biologen
von Fach sich dieser Einsicht verschliessen können.
Wäre das Entwickelte, das Evolvirte nicht ein Höheres
, ein (im summarischen Sinne) Grösseres oder Stär-
keres gegenüber Demjenigen, woraus es entstand, so könnte
man überhaupt von keiner Entwickelung reden. Die höheren
Pflanzen und Thiere sind nicht blos ein Neues, sondern ein
Mannigfaltigeres, Feineres, Höheres, als die ihnen vorausgegangenen
niederen Formen. So stellt der Intellekt der
höheren Thiere eine unendlich grössere Fähigkeits-, resp*
Kräftesumme vor, als das ihrer entfernten Ahnen; ja man
hat konstatirt, dass die Schädelkapazität vorweltlicher
Säugethiere kleiner war, als die ihrer späteren Formver-
Psychisehe Studien. November 1904. 44
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