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714 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1904.)
sinn seiner Selbstsucht dahin. Er begnadigte niemals,
ausser wenn der Verbrecher selber um den Tod bat; er
leitete in eigener Person die Misshandlungen der politischen
Gefangenen, bestimmte Jedem selber die Schwere der Ketten
und die Zahl der Fasttage und kannte keine süssere Erholung
, als das Durchlesen erbrochener Briefe."*) Nachdem
der Nachfolger des Grafen Kaunitz, Minister Thugut,
durch Cöbenzl, resp. den vortrefflichen Grafen Philipp Stadion
ersetzt worden war, kam die Herrschaft in die Hände des
Grafen (späteren Fürsten) Clemens Lothar Wenzel Metternich)
eines geborenen Koblenzers, der ab 8. Oktober 1809 die
Leitung der Geschäfte übernahm und am 25. Mai 1821 Haus-,
Hof- und Staatskanzier wurde: „le sidcle de Metternich"
begann. Wir haben seiner alle nationalen und freiheitlichen
Bewegungen schnöde unterdrückenden, unseligen Thätigkeit
schon des Oefteren (in Theil C, D, E) Erwähnung gethan.
In der Finanzpolitik Oesterreichs erfolgte, unter seinem
Regime, der völlige Zusammenbruch der Staatsfinanzen —
der „Bankozettelsturz4*, durch den viele Familien verarmten.
Durch eine Verfügung des Finanzministers Grafen Wallt* (vom
15. März 1811) wurde alles Papiergeld auf den fünften
Theil des Nennwerthes herabgesetzt Ein schandbares
Manöver!
Macaulay erzählt irgendwo, dass, als einmal im Salon
der Lady Holland gesprächsweise Metternich mit Mazarin verglichen
wurde, der anwesende Talleyrand dem widersprach:
„das dürfe man nicht! Denn vor allem unterscheide eins die
Beiden: Mazarin habe getäuscht, doch nie gelogen; Metternich
lüge, täusche aber nie." Das ist nun wohl mehr geistvoll, als
richtig, denn ungeachtet Allem zeigte sich beim Wiener
Kongresse die Präponderanz Oesterreichs über die kontinentalen
Staaten. Im grossen Befreiungskämpfe (1813—1814)
hatte Oesterreich verhältnissmässig wenig geleistet, trotzdem
wusste es sich in militärischen und politischen Dingen
stets den maassgebenden Einfluss zu wahren und nahm von
1814 an die dominirende Stellung im „Deutschen Bunde"
ein. Speziell beim Wiener Kongresse erhielt die lothringisch-
habsburgische Monarchie bedeutenden Länderzuwachs: die
Lombardei und Venetien nebst Friaul, lstrien und Dalmatien,
Salzburg und Westgalizien. Metternich hielt stets die Fäden
*) H. v. Treitschke: „Deutsche Gefeehichte im neunzehnten Jahrhundert
" I, Bd., 2, 601. — Es wäre nur lebhaft zu wünschen, dass
Treitschke, dieses fortschrittsfeindliche mixtum compositum von subjektiver
Ungerechtigkeit und nationalem Hochmuth, auch seine
neimathlichen Verhältnisse mit derselben rücksichtslosen Offenheit
beurtheilt hätte.
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