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718 Psychisohe Studien. XXXL Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1904.)
(aus „des Meeres und der Liebe Wellen"), in welchen der
Uberpriester der Heldin des Stückes Hero Weltentfremdung
predigt, sind auch für den Dichter Grundbedingung
seines Schaffens gewesen: Nur dem still Gesammelten, Einsamen
thut sich der Hintergrund der Wesen auf. So kommt
es aber auch, dass der so sensitiv und zart geartete Dichter
zu seinen dramatischen Helden fast nur Frauen wählt;
diese gelingen ihm, während seine Männer fast alle blosse
Worthelden sind, die „wie Löwen beginnen und wie Lämmer
endigen" (Jason, Ottokar, Rustan) und seine tragischen Konflikte
meist der Unkraft entspringen; — den „Typus der
dem Leben nicht gewachsenen Innerlichkeit" schildert,
nach Volkelf $ geistvollem Worte, Grillparze** am besten.
Eine gute Dosis Ironie stand dabei dem Dichter zur
Verfügung, wie seine Sinngedichte und Epigramme, seine
tagebuchartigen Aufzeichnungen u. s. f. uns zeigen. Wir
wollen nur ein Epigramm hervorheben, das uns für die
heutige Zeit — besonders für Oesterreich-Ungarn — recht
lesenswerth dünkt:
Der Weg der neuen Bildung geht
Von Humanität
Durch Nationalität
Zur Bestialität.
Ein im Frühjahr 1819 zu Rom veHasstes Gedicht:
„Die Ruinen des Campo Vaccino in Rom" brachte dem
Dichter, ob des darin ausgedrückten Freisinns, viele Unannehmlichkeiten
. Das schöne Poem zeugt von Grillparzer's
Liberalismus und von seinem Hasse gegen pfäffische Intoleranz
; wie er denn überhaupt, mitten im erzkatholischen
Oesterreich, in kirchlicher Hinsicht völlig indifferent geblieben
ist und auch, trotz seiner Beschäftigung mit Calderon
und Lope de Vega, sich stets zu jener geläuterten Humanitäts-
Religion bekannt hat, die Lessing in seiner Parabel von den
drei Ringen so unvergleichlich schön vetkündet hatte. Er
stammte eben noch aus dem guten, alten Oesterreich mit
seinen Josephinischen Traditionen! — Als Lyriker an sich
nicht von Bedeutung, liegt doch über allen seinen Dramen
der Hauch reinster Lyrik; mitten im stürmischen Gange der
Handlung findet er doch noch Zeit duftige Bliithen voll lyrischen
Schmelzes zu verstreuen. Die Klassizität eines Goethe
vereinigte sich bei ihm mit der Romantik eines Calderon und
schreibt nun in seiner „Selbstbiographie": „Ich fürchtete mich, mit
Goethe einen ganzen Abend allein zu sein, und ging nach manchem
Wanken und Schwanken nicht hin." Und dann erläutert er die'
wenig stichhaltigen Gründe. Dieses schwankende Nichtzugreifen-
können hat GriUparzer im praktischen Leben sehr oft geschadet.
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