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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen eto. 721
so lange Reihe von Vorstellungen abläuft, dass wenn die
Erinnerung des Erwachten das alsdann wieder gültige physiologische
Zeitmaass an die Reihe legt, man Wochen- oder
Monate lang geträumt zu haben glaubt, während dafür
nachweisbar nur ein Augenblick vorhanden war.a So erschaut
Rustan, der Held des Stückes, in wenigen Stunden
der Nacht ein Leben. Es liegt dem Werke also der so
tiefe Gedanke zu Grunde, dass unser ganzes Sein nur ein
in das phänomenale Zeitmaass auseinandergezogener trans-
scendentaler Augenblick ist.*) Reim Vorstellungsverlaufe
dieser Traumbilder tritt uns schon ein anderes Zeitmaass
entgegen und in den Traumbildern spiegelt sich, grotesk
verzerrt, unser inneres seelisches Leben. Prophetisch warnen
solche den Helden Rustan, dass die Grösse gefährlich und
der Ruhm ein leeres Spiel ist. Die ganze milde, abgeklärte
Weisheit des Dichters leuchtet uns farbig aus dem Gesänge
des alten Derwisch entgegen:
Schatten sind des Lebens Güter,
Schatten seiner Freuden Schaar,
Schatten Worte, Wünsche, Thaten;
Die Gedanken nur sind wahr,
Und die Liebe, die du fühlest,
Und das Gute, das du thust,
Und kein Wachen, als im Schlafe
Wenn du einst im Grabe ruhst.
In „Libussaa, einem Trauerspiel, das erst (wie der
^Bruderzwist44) nach GrUlparzer'% Tode erschien, und das
im Stoffe, allerdings nur (es behandelt ebenfalls die
Gründung Prags) in etwas, Brentano1* schon erwähntem
Zauberstucke ähnelt, sehen wir im Schlosse zu Budesch
das zauberhafte Treiben der Schwestern Libusstfs: Kascha
und Tetka, welche z. B. gleich zu Anfang den Tod ihres
Vaters, des Herzogs Krok, aus den Konfigurationen der
Gestirne lesen. Man hat „Libussa" auch Grillparzcr's
* Faust" genannt", da viel in sie „hineingeheimnisst" istj
und Zipper urtheilt; „Eine urzeitliche Märchenwelt wird
uns vorgeführt, aber nicht in festumrissenen dramatischen
Gestalten, sondern in einem Nebelbrodem orphischer Alle-
*) Diesen grossartigen Gedanken legt schon 1881 X. B. Hellenbach
in seiner „Magie der Zahlen* dar (XII, 135 ft.), wo er zum
Resultate kommt, dass „das menschlische Leben für die trans-
scendentale Zeitanschauung gerade einen Tag repräsentire." 1888 hat
du Prel in seiner „Monistischen Seelenlehre* (XIV. Kap.) den Gedanken
auf seine Weise durchgeführt; der oben zitirte Satz ist von
ihm. Man vergleiche dazu auch du Prel'a: „Phiios. der Mystik*
(1884) III, 1, woselbst sich auch als treffliche Illustration dieses
Gedankens das türkische Märchen Joseph Addison'» findet.
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