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752 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1904
streitet, nothwendig lächerlich und abgeschmackt vorkommen
muss? Das kann es nicht heissen. Wir glauben jetzt
keine Gespenster, kann also nur so viel heissen: in dieser
Sache, über die sich fast eben so viel dafür
als dar wider sagen lässt, die nicht entschieden
ist und nicht entschieden werden kann, hat
die gegenwärtig herrschende Art zu denken den Gründen
dar wider das üeberge wicht gegeben; einige wenige haben
diese Art zu denken, und viele wollen sie zu haben scheinen;
diese machen das Geschrei und geben den Ton; der grösste
Haufe schweigt und verhält sich gleichgültig und denkt
bald so, bald anders, hört beim hellen Tage mit Vergnügen
über die Gespenster spotten und bei dunkler Nacht mit
Grausen davon erzählen.
Aber in diesem Verstände keine Gespenster glauben,
kann und darf den dramatischen Dichter im geringsten
nicht abhalten, Gebrauch davon zu machen. Der Same,
sie zu glauben, liegt in uns allen, und in
denen am häufigsten, für die er vornehmlich dichtet. Es
kommt nur auf seine Kunst an, diesen Samen zum Keimen
zu bringen, nur auf gewisse Handgriffe, den Gründen für
ihre Wirklichkeit in der Geschwindigkeit den Schwung zu
geben. Hat er diese in seiner Gewalt, so mögen wir in
gemeinem Leben glauben, was wir wollen, im Theater müssen
wir glauben, was er will.
So ein Dichter ist Shakespeare, und Shakespeare fast
einzig und allein. Vor seinem Gespenste im „Hamlet"
richten sich die Haare zu Berge, sie mögon ein gläubiges
oder ungläubiges Gehirn bedecken. Der Herr von
Voltaire that gar nicht wohl, sich auf dieses Gespenst zu
berufen;*) es macht ihn und seinen Geist des Ninus —
lächerlich.
Shakespeares Gespenst kömmt wirklich aus jener Welt ;
«o dünkt uns. Denn es kömmt zu der feierlichen Stunde,
in der schaudernden Stille der Nacht, in der vollen Begleitung
aller der düsteren, geheimnissvollen Nebenbegriffe,
mit welchen wir, von der Amme an, Gespenster zu erwarten
*) Lessiag zitirt vorher eine Rechtfertigung Voltaire% in welcher
es auch heisst: „Man schrie und schrieb von allen Seiten, dassman
an Gespenster nicht mehr glaube, und dass die Erscheinung der
Todten, in den Augen einer erleuchteten Nation, nicht anders als
kindisch sein könne. Wie? das ganze Alterthum hat diese Wunder
geglaubt, und es sollte nicht vergönnt sein, sich nach dem Alter-
thume zu richten? Wie? unsere Eeligion hat dergleichen ausserordentliche
Fügungen der Vorsicht geheiligt und es sollte lächerlich
sein, sie zu erneuern ?u
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