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Eine schwäbische „Spiritistin" vor 200 Jahren. 763
♦vielen Glauben gefunden, es lohne sieh aber nicht, mit all
den erdichteten, meist mit biblischen Worten ausgeschmückten
Lügen das Papier zu beklecksen! „Und war nach der
Hand zu verwundern, wie diese Visionisjiin bei allen Okka-
sionen entweder extempore oder vorbedachter Weise einen
ziemlich kleinen Vortrag, als aus des Engels Mund genommen
, habe thun können, dazu ihr das gute Gedächtniss
und öfters Bibellesen fürträgiich gewesen11.
Es folgten dann Erscheinungen, bei denen alte stumpfe
Messer und viele Glasstücke, wohl 70 an der Zahl, sodann
Stecknadeln aus ihrem Leib „per os et inferiora" gekommen
sein sollen. Auch das fand Glauben, „da der Vater ihre
Sache eifrig vertrat und erzählte, als das Messer von ihr
gefallen, habe sie sich jämmerlich gegrämet und es dergestalt
im Leibe gekracht, als sollte alles Eingeweide zer-
reissen." Die letzte Gattung eines angeblich übernatürlichen
Werkes war ein ,,konstituierlichu [kontinuirlich? — Red.}
in die .Nase aufsteigender Schwefelgeruch, denn als man sie
frag, warum ihr die Augen immer so übergingen, gab sie
als Ursache an „auch Brand und Loichengerueh als Vorspiel
göttlichen Zorngerichtes."
Das Gerede von der Prophetin verbreitete sich natürlich
im ganzen Land und „viele waiifahrteten sie zu sehen
und zu hören; einige schriebens dem Teufel, andere der
Phantasie, andere Gott selbst zu." Selbst der Landesfürst
scheint sie einmal besucht zu haben. Die Folge war, dass
der Herzog dem Konsistorium eine peinliche Üntersuchung
anbefahl. Das Konsistorium gab nach Einsicht der Akten
folgendes Gutachten einstimmig ab: „Die ausspargierten
Visiones, teils mit kontradictoriis, teils faisis, teils auch
solchen modis loquendi und phrasibus, welche dem typo
sanae doctrinae ganz zuwider, ja auch majestati divinae
sehr verkleinerlieh in verschiedenen Stellen angefüllet wären,
solche allem Anschein nach nicht verae und divinae, sondern
entweder von einem phantasia mera oder qualificata cum
malitia herrühren müssen", oder auf gut Deutsch: Die Erscheinungen
sind teils verrückt, teils gotteslästerlich und
entstammen einer verdorbenen oder boshaften Phantasie.
Auf dies Gutachten hin ertheilte der Herzog dem Kon-
sistorialrath und Hofprediger Dr. Hedinger in Stuttgart den
Befehl, die Pfarrerstochter von Simmersfeld „auf einige
Wochen in seine Behausung zu nehmen, ihr ehrliche Kost
zu geben, genau auf ihr Thun und Treiben zu achten, und
wenn er etwas Verdächtiges merke, unterthänigst zu referieren
." Am 8. Oktober l6(J9 zog die Baderin in Stuttgart
ein und erzählte gleich, wie ihr auf dem Herweg
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