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7G4 Psychische Studien. XXXI, Jahrg. 12 Heft. (Dezember 1904.)
der Engel erschienen und Schutz und Rettung versprochen
habe.
Der Herr Hofprediger aber kam rasch dahinter, dass
„lauter Betrug offenbar hinter dem Handel stecke, weil es
ein gar einfältiger Geist oder Teufel sein müsse, der nicht
klügere Antworten geben könnte." Als sie eines Abends
eine Engelerscheinung hatte, nahm der Hausherr „sofort
eine Geisterbeschwörung nach christlicher Art" vor und
bedeutete dem Engel, wenn er sich nicht auf eine bessere
Art und Manier vorstelle, so sei er nicht vom Guten! Als
darauf nichts geschah, woraus man die Gegenwart eines
Engels vernünftigerweise abnehmen konnte, „wurde die
Tochter in ein besonderes Kabinet gerufen, in allem Ernst
mit dem Staubbesen bedroht, wenn sie nicht rund bekenne,
da legte sie gebrochen offenes Geständniss ab, dass alles
Betrug, Simulation, leichtfertige Täuscherei gewesen sei.
Den Blumenbusch habe ihr ein Bauernmensch von Altensteig
tags vorher gebracht, die Gläser, Stecknadeln und
Messer habe sie durch Geschwindigkeit gegaukelt und versteckt
, das Klopfen des Engels habe sie selbst besorgt,
ebenso die Kunststücke mit dem Verschwinden von Fleisch
und Brot." Als Grund ihrer Handlungsweise gab sie an,
sie hätte .,Ehre vor der Welt gesucht, wäre gern gross und
für eine Heilige gehalten worden." Auf Befehl des Herzogs
wurde sie nun in Verhaft genommen, erzählte aber
dort ihrem Geistlichen wieder, dass ihr Engel erschienen
und dass in einer Nacht ihre Stube ganz voll des himmlischen
Heeres gewesen sei. Andern Tages ernstlich an
ihre Pflicht ermahnt, unterschrieb sie ein Protokoll von
46 Punkten, dass alles schändlich gelogen sei.
Der Vater dagegen scheint nach wie vor an die ünschuid
seiner Tochter geglaubt zu haben. —
Oeber beide, Vater und Tochter, wurde am 17. November
1099 ein Gericht gehalten, die Tochter zu öffentlicher
Busse und Reuerklärung und 3 Jahren Gefängniss auf Hohen-
tübingen verurtheilt, der Vater aber auf „einen anderen und
zwar geringeren Dienst transferieret.1* Beiden wurden mildernde
Umstände zugesprochen, der Tochter weil sie minderjährig
, weil sie nicht die Absicht gehabt, das Volk zu
schädigen, sondern nur berühmt zu werden, weil sie eines
Pfarrers Tochter sei und Reue und Leid über ihre Thaten
bezeuge; dem Pfarrer, weil er anscheinend im guten Glauben
gewesen.
Am 4. Sonntag nach Epiphaniae 1700 ging in der
Stiftskirche zu Stuttgart die Kirchenbusse der Christina
Regina Baderin vor sich „in grosser Versammlung". Nach.
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