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22 Psychische Studien. XXXII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1905.)
aber dies alles? Zwar besteht eine der besagten Nachwirkungen
in der Anregung des Stoffwechsels, die sich in
dem schärferen Appetit kundgibt. Daraus folgt jedoch in
keiner Weise, dass eben der gesteigerte Stoffwechsel und
der infolgedessen verhältnismässig grössere Nahrungsverbrauch
die grundlegende Ursache jener vorteilhaften
Veränderungen wäre: sie selbst sind ja zunächst die Folge
der Reaktion, die sich ihrer sodann als Mittel bedient,
um jene Veränderungen auf eine gewisse Zeit hinaus einzuleiten
. Ist die periodische Einwirkung einer mässigen
Kälte die Ursache der Kräftigung des Organismus, so folgt
daraus schon theoretisch, dass letzterer ohne dieselbe bei
sonst gleichen Lebensbedingungen, aber bei gesteigerter Nahrungszufuhr
jene neuen Kräfte nicht erworben hätte; und
in der Tat bestätigen uns gewisse Beispiele diesen Schluss.
So kann der Organismus bei einer Behandlung durch
Kurniss oder Kephir infolge deren leichter Verdaulichkeit
erstaunliche Mengen von Nährstoffen bewältigen *), was
schon durch die spärliche Menge der Exkremente bestätigt
wird. Hier wird an Nahrungsstoffen selbst entschieden
mehr eingeführt und verdaut, als in jenen Fällen, wo man
infolge einer Kälteeinwirkung grösseren Appetit verspürt
und daher mehr Speise zu sich nimmt; und doch ist die
Gesamtwirkung eine geringere und viel einseitigeie, als im
Falle mit der Kältedressur des Organismus. Einem bis
dahin schlecht genährten, heruntergekommenen Menschen
kann eine Kumisskur grossen Nutzen bringen, weil der
Naturheilkraft in diesem nahrhaft verdaulichen Getränk ein
Mittel geboten wird, das Verlorene nachzuholen. Bei einem
Gesunden aber stehen die Dinge anders: er kann stark zunehmen
; allein der Ansatz der Gewebselemente besteht
hauptsächlich in Fett und ist sehr wenig stabil, indes
die durch die Kältedressur erworbene Zunahme eine grössere
unQ zwar dauerhafte Festigkeit der Gewebe bedingt,
dem gemäss sich auch eine Kräftigung verschiedener organischer
und psychischer Funktionen einfindet.
ß) Die Nachwirkung eines verminderten
atmosphärischen Druckes. Bekanntlich nimmt bei
einem aus der Ebene ins Gebirge versetzten Menschen oder
*) Eben darauf beruht die Heilkraft dieser Kur in Fällen von
Anämie u. dgl. Es ist z. B. in der Steppe keine Seltenheit, dass
ein Erwachsener 4 bis 5 Liter Stutenkumiss und darüber aussei
seiner gewöhnlichen Portion fester Nahrung zu sieh nimmt: die Berechnung
aber zeigt, dass dann die Gesamtmenge der eingeführten
Nährstoffe doppelt so gross und noch mehr ist, als der Mann unter
anderen Umständen zu sich zu nehmen pflegt.J
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