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128 Psychische Studien. XXXII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1905.)
letzteres hingegen die falsche und gesundheitswidrige Askese,
Leider ist man, namentlich in unserer Zeit, dermassen in
voreiligen chemisch - biologischen Theorien befangen, dass
man, sobald die Rede auf Askese kommt, dieselbe stets
nur im letzteren Sinne begreift.
Kurz das so sehr5 und zwar mit Recht, gefürchtete
Gespenst des Hungers zeigt sich nunmehr in einer ganz:
anderen Gestalt: eine vorsichtige Einwirkung desselben,
d. h. ein massiges quantitatives Fasten bei sonst hinreichender
Ernährung hat das Gegenteil des
eigentlichen Hungerns, also eine physisch-psychische Kräftigung
des Organismus zur Folge.*) Die Tatsache ist da,
und der sich in ihr offenbarende Vorzug ist der wohltätigen
Wirkung der Kälte und der Druckveränderung verwandt.
Späterhin werden noch analoge Erscheinungen aus anderen
Gebieten des Lebens erörtert werden. Zunächst aber sei
hier noch eine Reihe von Beispielen angeführt, welche mit
dem Vorhergehenden in der Hinsicht verwandt sind, als sich
auch hier kein Parallelismus zwischen der Intensität
der Lebensäusserungen und der des Stoffwechsels auffinden
lässt.
XVI.
In manchen Fällen wären die zuletzt erwähnten Parallelismen
geradezu eine Denkunmöglichkeit, weil die Kraft-
äusserungen des betreffenden Wesens das Mittelmass so
gewaltig übersteigen, dass es unglaubliche Mengen von
Nahrung ein- und ausfuhren müsste, um der Stoffwechseltheorie
zu genügen. Ich erinnere hier wieder an das oben
angeführte Beispiel der genialen Menschen. Soll deren
psychische Kraft, die das geistige Können Tausender von
Durchschnittsmenschen aufwiegt, nichts als ein Produkt
des Hirnstoffwechsels sein, so müsste eine entsprechende
Menge Blut (also mit einer besonderen Schnelligkeit)
ihr Hirn durchlaufen und eine entsprechende, geradezu
unerhörte Masse von Speisen und Ausscheidungen
verbraucht oder ausgeleert werden. Ferner entwickeln
manche Tierarten sogar im Hungerzustand noch eine so
kolossale Muskelkraft, dass man aus den Schwierigkeiten
und Widersprüchen nicht herauskommt, solange man darauf
besteht, die Muskelfunktion einfach als eine Umsetzung
der beim Verbrauch (Verbrennung) des Nahrungsstoffes frei
werdenden potentiellen Kraft zu betrachten. Ein Floh z. B.
*j Eine ähnliche Wirkung stellt sich bei einer periodische»
und vorsichtigen Wasselentziehung, d. h. bei einer Trockendiät, ein,
wie ich diesem „Gesundheit und Glück" näher bewiesen habe.
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