http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0048
38 Pöjehisohe Studien. XXXII. Jahrg. 1. Heft (Januar 1905.)
grinsenden Verzweiflung an der grenzenlosen Oede seines
Spezialisten - Berufs zur Klarheit darüber emporringt, was
eigentlich jeder Naturforschung zugrunde liegen sollte: —
eine naturphilosophische Weltauffassung, wie sie ein Goethe
besass. Es sind selbst durchgemachte seelische Leiden, die
France in dieser Schrift schildert, wenn er von dem unversöhnlichen
Gegensatz zwischen Leben und Wissen redet,
der die Seele des gelehrten Spezialisten in Zwiespalt versetzt
: „das eine will Durchsetzen des Ichs, will Macht und
Betätigung, das andere verachtet die Persönlichkeit und
die Tat, — beide kämpfen ununterbrochen und machen den
Gelehrten zu einem mit sich selbst zerfallenen , seinem Ich
feindlichen Geschöpf, welches sich und dem schauerlichen
Gespenst der Eelativität aller Erkenntnis auf jede Weise
zu entfliehen trachten muss, so wie es ihm sein tiefster
innerer kategorischer Imperativ gebeut44
„Und wie hilft sich der Gelehrte gegen diese Leiden?44
— frägt France. Seine Antwort lautet: „Sich selbst zu
vergessen, nicht „allein mit sich* sein, gedankenlos sein,
nie zur Besinnung kommen, sich betäuben — dies sind
seine Mittel.....; angewendet erzeugen sie die nervöse
Regsamkeit, woran unsere wissenschaftliche Welt krankt."
Aus diesem „wüsten Meer des Wissensgetriebs von
heutea findet aber France schliesslich doch einen Ausweg.
Er findet ihn, indem er sich ein neues Ideal bildet. Und
dieses neue Ideal ist: „ein Ineinandergreifen von Gelehrsamkeit
, die die Welt erkennen will, und von Künstlertum,
für welches die Welt ein ästhetisches Problem ist.11 Kurz
eine Synthese von Gelehrtem und Künstler, wie sie sich im
Wesen Goethe's darstellte. In solcher Synthese allein vermag
FrancS den Pessimismus zu überwinden, der ihn in
öder Spezialisten-Arbeit ergriffen, findet er die Liebe wieder
zu seiner eigenen Wissenschaft. Aber ein Naturphilosoph
wie FrancS musste auf diesem Weg auch den Schlüssel zur
Metaphysik und den mit ihr verknüpften okkultistischen
Wissenschaften entdecken.
„Ich sehe nicht ohne Hoffnung" — schreibt er am
Schlüsse seines Buches — „auf das Wiedererstehen der
okkultistischen Wissenschaften. Nur verblendeter Erkenntnishochmut
denkensunfähiger Köpfe kann sich mit dem groben
Sensualismus des modernen Pseudomonismus zufrieden geben
und die Geheim Wissenschaften in Bausch und Bogen mit
verächtlichem Lächeln beiseite schieben. Wer ernstlich
nachdenken kann und will, wird es wünschen, dass man sie
nicht Charlatanen und Dilettanten überlässt, sondern dass
Urteilsfähige sich mit ihnen ernstlich beschäftigen und sie
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0048