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82 Phobische Studien. XXXII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1905.)
sondern muss besser die dazu gehörige Person gleichzeitig
einigermassen kennen *) Jener Almanachverfasser schliesst
auch z. B. oft aus üblen Konstellationen auf schlechte Eigenschaften
, was häufig garnicht zutrefiend ist! Nun sind freilich
auch solche Bestimmungen sehr dehnbar, wenn er z. JB.
schreibt, ein Kind an diesem oder jenem Tage geboren,
werde „nicht wahrheitsliebenda oder „verschwenderisch" sein.
Ferner wird in jenem Kalender nur aus den Konstellationen
im Zodiakus (in Länge) judiziert, was gleichfalls schon nur
eine Hälfte der Wahrheit ist; aber von den wichtigen
Aspekten in den Tagebögen sagt auch der oben erwähnte
„Key to Astrology" nichts; es wäre auch für das Gros der
Interessenten unzugänglich. Sie verändern sich aber im
Verlaufe eines Tages weit mehr als die Aspekten im Zodiakus
und hängen daher weit mehr als diese von Stunde und
Minute der Geburt ab. Gerade die Geburtshoroskopie ist
schwierig und lässt gegenwärtig noch so manches vermissen,
obgleich bei einiger Mühe auch gute Prognosen glücken.
So kann man bei Zwillingen, die mit zehn Minuten
Zeitdiäerenz geboren sind, eine ganz verschiedene Wesensart
beobachten, und demzufolge haben sie auch abweichende
Schicksale, obgleich sie vielfach gleichen Konstellationen
unterliegen, die sich dann je nach den Verhältnissen äussern.
Diese feinen Abweichungen der Individualitäten können
wir astrologisch nicht erklären, wenigstens nicht mit den
jetzt bekannten Mitteln. Doch haben sie auch in vielem
verschiedene, zu abweichenden Zeiten wirkende Direktionen
und hierin steckt astrologisch das Hauptmittel zur formalen
Unterscheidung ihrer Schicksale. Materiell, d. h. den besonderen
Tatsachen nach werden wir nie ganz sicher
gehen, ausser unter Berücksichtigung der schon bekannten
Lebensumstände,*) wiewohl auch dann noch manches überraschend
kommen wird, da sich Ungewöhnliches im voraus
aus den Konstellationen durch blosse Kombination selten
erraten lässt. Die Wirkung der Gestirne ist nun einmal
unbewusst; sie gibt ihr Geheimnisvolles selten ganz frei,
wie es auch im Sonett des astrologisch wohlbewanderten
Shakespeare-Dichters heisst, der nichtsdestoweniger seinen
Glauben daraii bekennt:
Bedenk' ich, dass nur Augenblicke währt,
Was zur Vollendung wächst und nur der Sterne
Geheimer Einfluss recht das Spiel erklärt
Auf dieser Lebensbühne nah und ferne--.
*) Dann ist es u. E, für den Menschenkenner nicht
schwer, auch ohne abstruse Berechnungen Schlüsse allgemeinster
Art auf die Zukunft der betreffenden Personen aus ihrer Ölückslage
und ihrem Charakter zu ziehen. — Red.
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