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98 Psychische Studien. XXXIL Jahrg. 2. Heft. (Februar 1905.)
zieliung abhängt, doch ein grosser, ja der am tiefsteu
gehende Teil dieser Arbeit von jeher durch persönliche
Prüfungen ins Werk gesetzt wurde; selbst die Erziehung
(im pädagogischen Sinne) ist eben dann von segensreicherer
Wirkung, wenn sie sowohl physisch, wie psychisch die Verweichlichung
meidet, d, h. dem zu Erziehenden gewisse
leichtere Prüfungen auferlegt.*)
Die Wurzeln der alltäglichen, uns so einfach und selbstverständlich
erscheinenden Kraftwirkungen des Weltalls
entspringen in Wahrheit einem Unbegrenzten; dieses aber,
um es gleich in seiner wahren Natur zu bestimmen, gehört
zu dem Gebiet des Unerkennbaren, d. h. jenes unerforscht
lichen Weltgeheimnisses und letzten Welträtsels, welches jeglicher
„rationellen Erklärung" spottet, weil ein endlicher Verstand
ein unendliches Okjekt nicht zu fassen vermag.
*
II. Was nun schliesslich die von materialistischer Seite
oft aufgestellte Behauptung betrifft, als seien alle auf
der Erde wirkenden Kräfte nur ein Aus-
fiuss der Sonnenkraft, so ist sie so augenscheinlich
falsch, absurd und willkürlich, dass wir uns darüber
kurz fassen können. Denn neben den Sonnenkräften wirken
auf der Erde unzählige Kräfte lokalen Ursprungs. Hierher
gehören z. B. die chemischen Kräfte der unorganischen
und der organischen Verbindungen. Wenngleich Wärme,
Licht usw. deren Zustandekommen beeinflussen, so sind
immerhin die Eigenschaften der betreffenden Stoffe selber
*} „Das Uebel muss ja kommen" — diese Worte bewähren also
nach wie vor ihren tiefen Sinn; doch muss, um etwaigen niederschlagenden
Aussichten die Wage zu halten, noch gleich Folgendes
hinzugesetzt werden: es gibt zum Glück mildere Mittel zur Förderung
der Sittlichkeit und dies sind Arbeit, Gewöhnung
(Dressur), Abhärtung, Vermeidung jeglichen Ueber-
flusses, leichtere Genussentziehungen und Prüfungen
, kurz Mittel, welche die wahre Basis für die Erziehung
der Kinder, wie der Gesellschaft im grossen Ganzen sein sollten.
Dies ist, was ich das gezähmte Uebel nennen möchte, weil
wir es in unserer Gewalt haben und so nur dessen wohltätige, nicht
aber dessen zerstörende Macht ins Werk setzen können, indes das
wirkliche Uebel, falls es mit einer für das Individuum zu grossen
Kraft wirkt, schaden, ja verhängnisvoll werden kann, anstatt zu
nützen. Daher muss der Kampf gegen dessen Unbotmässigkeit und
zertrümmernde Kraft stets die Aufgabe der Kultur bleiben. So ist
in erster Linie auch der K r i e g zu verdammen und zu meiden;
denn obwohl auch er mitunter dies oder jenes Gute im Gefolge hat,
so schadet doch meistens die durch ihn herbeigeführte allgemeine
Verwilderung, verbunden mit rückläufigen Strömungen, mehr als
jene Lichtseiten nützen können.
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