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110 Psychische Stadien. XXXII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1905.)
in sich abgeschlossene Skizzen und Aufsätze Naumann'* über
die allerverschiedensten Dinge, wie Gemälde, Maschinen,
Ausstellungen (Naumann hat seit 1890 fast alle grösseren
deutschen Gewerbe-Ausstellungen besucht); ferner Reise-Eindrücke
(Naumann hat nicht nur fast ganz Europa, sondern
auch die Türkei, Palästina, Aegypten und Tunis bereist);
endlich Aufsätze ethisch - religiösen Inhalts und last not
least Politisches. Die Aufsätze ethisch - religiösen Inhalts
werden wohl für unsere Leser ein besonderes Interesse
haben. Ich entnehme deshalb ihnen ein paar kurze Stichproben
, um sie dem theosophisch gebildeten Leser vorzusetzen
. In dem Aufsatz Nr. 26 „Wissen und Glauben
" (eine Weihnachtsbetrachtung) finden sich am Schluss
folgende inhaltsreiche Sätze:
„Nicht der Glaube ist der beste, der dem Menschen
am wenigsten zumutet. Soll ein Glaube erhaltende und
innerlich stärkende Macht sein, so muss er etwas Schweres
ucd Tiefes haben. Blut und nicht Wasser, das soll heissen:
Herzblut und nicht blosse Allerweltswahrheiten! Nicht
der Glaube ist der beste, der der klügste ist, denn dieser
wird am meisten dem Wissen verwandt sein und darum
sich am meisten vor dem Wissen fürchten müssen. Mit
anderen Worten: ein Glaube kann nicht mit Bewusstsein
konstruiert werden. Ein Glaube, der Offenbarung
hat und Mystik, ist als Glaube weit geeigneter, als ein
Denk-Glaube, von dem das Wort des alten Professors
Marheinecke gilt; Er denkt zu glauben und er glaubt zu
denken!41 . . .
In Nr. 13 „Religion und Kunst" lesen wir am
Schluss: „Es gibt keine religiöse Kunsttechnik, denn Technik
ist formelle Methode, die vom Inhalt der Seele nicht
abhängt, aber es gibt einen religiösen Kunsthintergrund.
So gibt es auch für Moral und Politik religiösen Hintergrund
. Auch diese Dinge sind Ausfluss einer inneren Erfassung
des Lebendigen und Werdenden. Sie können als
Handwerk betrieben werden, aber es ist nicht nötig. Ihre
Technik ist rein weltlich. Der Zusammenhang mit der
Religion liegt in der ausübenden Person. Religion ist
personenweckend. Darin liegt ihre unvergängliche Bedeutung
für alle Hauptgebiete menschlichen Wirkens." —
Ich möchte behaupten, Naumann verrät an deu angeführten
Stellen den praktischen Mystiker, der in ihm lebt.
Vom praktischen Mystiker aber sagt Annie Besaut in ihrem
Buche: „Das Denkvermögen" am Schlüsse von Kap. VIII:
„Ein solcher Mensch beherrscht die Ereignisse, weil die
Kraft, die in diesen Ereignissen nur ihren äusseren Aus-
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