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Deinhard: Aus dem Geistesleben der Gegenwart.
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15. Juni 1904 findet. Betitelt ist derselbe: Die Unmöglichkeit
der Vererbung geistiger Eigenschaften, und verfasst
von Dr. Bernhard Ramitz, Professor der Anatomie an der
Universität Prag (früher in Berlin). Prof. Ramitz beschäftigt
sich hier zunächst mit den bekanntesten Vertretern der
verbreiteten Anschauung, dass die geistigen Eigenschaften
genau ebenso wie die Gestalt und die physischen Eigenschaften
des Menschen erblich seien. Er nennt den Engländer
Galton, die Deutschen Büchner, Burdach, Roux, Eimer
und Eduard v, Hartmann und fasst dann seine eigene Anschauung
in folgenden Sätzen zusammen: „Die Verteidiger
der Vererbbarkeit und Vererbung der geistigen Eigenschaften
des Menschen machen den Fehler, dass sie bei
ihren Annahmen die anatomische Grundlage nicht von der
physiologischen Funktion trennen. Nicht die geistigen
Eigenschaften werden vererbt, sondern nur das morphoti-
sche Substrat geistiger Tätigkeit, also die anatomischen
Bestandteile des Körpers, an die das Geistige geknöpft
ist, .. Niemals wird die Funktion vererbt, sondern immer
nur das Organ als Substrat der Funktion, d. h. vererbt
wird nur die Möglichkeit, dass eine Funktion sich ausbilden
kann . . . Nicht die geistige Eigenschaft wird vererbt,
sondern Gehirn und Rückenmark . . . An das Gehirn ist
das Geistige als an seine anatomische Grundlage geknüpft;
im Gehirn sind es die sogenannten Ganglienzellen der
Hirnrinde, welche wir als den Sitz dieser höheren Hirnfunktion
zu betrachten haben. Zellfunktionen bestehen
immer in Molekularbewegungen, die in der verschiedensten
Weise denkbar und möglich sind. Was die
Ganglienzelle vererben kann, ist die schnellere oder langsamere
Beweglichkeit ihrer Moleküle; denn diese ist
in ihrer Konstitution begründet. Was die Ganglienzelle
aber unmöglich vererben kann, ist die Rhythmik der
Molekularbewegungen. Diese wird erworben und
ist das Resultat der auf die Ganglienzelle wirkenden
äusseren Kräfte, d. h. des Milieu. Die Rhythmik der
Molekularbewegungen aher erscheint als die geistige Leistung
(Eigenschaft) des einzelnen Menschen."
Die hier wiedergegebenen Anschauungen von Prof.
Rawiiz erscheinen mir darum um so bedeutungsvoller, als
sie den ersten Schritt bedeuten zur Anerkennung einer
hinter der Persönlichkeit stehenden Individualität.
Was R. hier als „Rhythmik der Molekularbewegungen" bezeichnet
, als eine Rhythmik, die die Ganglienzelle nicht vererben
kann, fällt wohl mit dem Rhythmus zusammen, den
die theosophische Betrachtungsweise als den Bewegungs-
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