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218 Psychische Stildien. XXXII. Jahrg. 4. Heft. (April 1905.)
Wer dieser Meinung huldigt, ist in den Sinn jener Auf-
Fassung noch nicht recht eingedrungen. Denn das, was man
sonst mit dem Namen der seelischen Vorgänge belegt,
z. B. freudige oder traurige Gefühle, schiiesst ja schon,
unter dem Gesichtspunkt des Parallelismus betrachtet, gewisse
ganz eigenartige Schwingungen der Hirnsubstanz in
sich; ihre entsprechenden innerlichen Doppelgänger aber
sind eben jene Vorgänge im Selbstgefühl.
Wenn es sich also z. B. um eine freudige oder traurige
Gemütsbewegung handelt, die auf gewisse Vorgänge des
Leibes zurückwirkt und sich in ihnen spiegelt, so haben
wir mit besagter Gemütsbewegung zugleich
jene ihr entsprechenden physischen (stofflichen
) Schwingungen der Gehirnsubstanz
vor uns, d. h, es handelt sich schon von vornherein um
einen physisch-psychischen Vorgang, dessen stoffliche Seite,
nämlich die Bewegung, sich auf andere Leibesorgane fort^
setzt. Anders ausgedrückt ist das, was wir insgemein
„Wirkung der Seele auf den LeibÄ nennen, im Grunde bereits
die Wirkung der stofflichen Hälfte eines
Doppelorgans auf andere leibliche Vorgänge, nur ist der
psychische Doppelgänger des ersteren, nämlich
die Gemütsbewegung, unendlich höherer Art, als die dunkeln
und einfachen Gefühle, welche die Innenseite der übrigen
leiblichen Tätigkeiten vorstellen. Schliesslich können wir
unsere Folgerung dahin formulieren, dass das, was wir
„psychische Krafta nennen, zugleich stets auch physische
Kraft ist.
Welcher Art sind nun des Näheren jene physisch-stofflichen
Vorgänge und Kräfte, welche den geistigen Geschehnissen
entsprechen? Wir sind allerdings noch sehr weit
davon entfernt, uns ein anschauliches Bild jener Bewegungen,
Körperorgane, bei denen ebenfalls die Funktion durch die Substanz
und die Substanz durch die Funktion mehr oder weniger bedingt
wird ..." — Der Gang einer Maschine ist ihre Funktion. Stellen
wir uns nun vor, dieser Gang gerate durch ein zu grosses Quantum
der treibenden Kraft in ein so schnelles Tempo (z. B. eine vom
Sturmwind ergriffene Windmühle), dass sich die Festigkeit des Getriebes
demselben nicht gewachsen zeigt and letzteres dahei Schaden
nimmt, kann dann etwa dieser Vorgang als „ B ü c k w i r k u n g der
Funktion auf die Substanz" aufgefasst werden ? Der betreffenden
Maschinerie wurde einfach von aussen eine allzu starke BewegUBg
zugemutet und infolgedessen ging in ihr etwas aus den Fugen.
Wenn die Funktion eines Körperorgans an sich wirklich auf dessen
Gefüge zurückzuwirken vermag, so ist ja damit eben das bejaht,
was Büchner bestreitet, nämlich die Selbständigkeit der
Funktion, also in der vorliegenden Streitfrage auch die Selbständigkeit
des Denkens und der Seelentätigkeit überhaupt.
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