http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0295
v, Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 283
»Strömungen; nur wird der philosophische Wert solcher Tatsachen
von den Materialisten völlig übersehen. Wenn z. ß.
ein bisher anständig lebender Mensch sich, durch schlechtes
Beispiel angesteckt, dem Laster ergibt, wenn seine Gesichtszüge
dabei unheimlich, wenn seine Nerven, Muskeln
usw. darunter schlaff und zunehmend leistungsunfähig werden
; wenn umgekehrt ein Alltagsmensch, durch mächtige
sittliche Impulse der Umgebung fortgerissen, einen höheren
sittlichen Wandel beginnt, wenn sich darunter die Gesichtslinien
seiner Physioguomie veredeln, seine Gewebe durch
Abhärtung strammer und kräftiger werden —, was muss
wohl in diesen beiden Fällen den Gegenstand unserer
Hauptbetrachtung bilden? Der abstossende Eindruck
, den das Gesicht jenes Wollüstlings auf andere macht,
ist jetzt eine der Punktionen seiner Gesichtsnerven und
Muskeln; die Zuckungen und die Schwächlichkeit der
Leistungen seiner übrigen Muskeln gehören zu deren
jetzigen Funktionen und lassen sich aus dem der-
weiligen anatomischen Zustand des Muskel- und Nervengewebes
„erklären41; die fehlerhafte Verdauung seines
Magens, der kurze Atem seiner Lungen usw. — alles dies
sind lediglich die abnorm gewordenen Funktionen der
Organe, deren zerrütteter organischer Bau solches alles bedingt
. Bas Umgekehrte bezieht sich auf das edler und
kräftiger gewordene Leibesgefüge eines sich in Selbstzucht
tibf nden Sittlichkeitskämpfers.
Was aber war die tiefere Quelle jener funktionellen
und anatomischen Veränderungen? Letztere sind selber
das Produkt der neuen auf jene Menschen von ihrer
Umgebung einströmenden dynamischen Einwirkungen
; also sind diese hier genetisch das Primäre,
nicht die durch sie bedingten physischen Befunde der
Organe. Und so steht es auch mit dem Gehirnorgan.*)
Was lehren uns ferner jene wunderbaren, in der Neuzeit
festgestellten Wirkungen der sogen. Suggestion?
Wir sehen durch sie tiefe Veränderungen im psychischen
Gebiete entstehen, die ihrerseits wieder auf gewisse leib-
*) Bei diesem Anlass sei ganz im allgemeinen auf den wichtigen
Uiubtand hingewiesen, dass das Zustandekommen bestimmter Lebensformen
bisher von der Biologie immer nur von Seiten der Erblich-
keitsgesetze betrachtet wird. Und doch sind ausser diesen noch eine
Menge anderweitiger Wirkungen tätig, welche bei der
Frage unseres Themas ein gewaltiges Wort mitsprechen, nur sind
sie in ihrem Zusammenhang und ihren Ursachen schwerer zu studieren
und werden daher insgemein ganz übersehen. Nicht bloss
Einzelvorgänge der unbelebten Natur, z. B. meteorologische Er-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0295