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292 Psychische Studien. XXXII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1905.)
beschauliebe Lebenfc< beschreibt eine der Gemeinden der
„Weisheitsfreunde", die er auch Therapeuten (Heiler) nennt.
Diese Gemeinden gehören einem Verbände des mystischen
Judentums an und tragen unverkennbare Spuren des Zusammenhanges
mit der gnostischen Richtung. Sie fanden
sich in grosser Anzahl in ganz Aegypten verstreut. Endlich
eigneten sich die jüdischen Schriftsteller die Ueber-
lieferungen der grossen semitischen Rasse, der Völker Babylons
und der Chaldäer an und verwendeten sie zur Verherrlichung
ihres eigenen Ursprunges und ihrer eigenen
Geschichte. Sie waren ja Glieder des „ auserwählten"
Volkes Gottes. Die mystischen Schulen jüdischer Theosophie
hatten grossen Einfluss auf das im Entstehen begriffene
Christentum, In den Jahrhunderten vor und nach
Christi Geburt bestand aber unter den Mitgliedern der
griechischen, ägyptischen und jüdischen mystischen Schulen
ein förmlicher Enthusiasmus für Austausch der Lehren
für Synkretismus und Synthese, dessen Wirkung sich in
den Fragmenten der Gnosis erkennen lässt, die uns von
späteren orthodoxen Schriftstellern in der Form polemischer
Zitate aus den Häretikern aufbewahrt wurden.
Der Hauptort dieser Bestrebungen, woselbst auch in
steter äusserer Berührung mit dieser Welt brodelnder
Gedanken einige der grössten Gelehrten der Gnosis, wie
Clemens und Origenes, lebten, war der Ort, in welchem sich
Aegypten, Rom, Griechenland, Syrien, Palästina und Arabien
begegneten, — Alexandria% Die beiden genannten
Männer sind es auch gewesen, die den Grundstein zu den
Anfängen der christlichen Theologie gelegt haben,
Zum Studium der Gnostik sind zu empfehlen: llarwcfcs
„Dogmengeschichte44 und „Dictionary of Christian Bio-
graphy" von Smith und Wace. {Neander ist veraltet.) Die
Quellen teilt Mead ein in indirekte (die polemischen Schrifter
der Kirchenväter) und in direkte (die gnostischen Abhandlungen
, die in koptischer Uebersetzung aufbewahrt sind).
Die indirekten Quellen wurden uns durch Vernüttelung
der heftigsten Gegner der Gnosis überliefert; ihre Zuverlässigkeit
iht also anzuzweifeln. Das grösste „Vorratshaus
für den Gnostizismus*1 ist die Refutation des Irenaus, der
gegen Ende des zweiten Jahrhunderts in Lyon schrieb.
Alle späteren Widerleger benutzen sein Werk, zum Teil
sogar wörtlich. Da er den Gnostizismus für ein direktes
Produkt des Fürsten alles Uebels hielt, wurde er den Ansichten
seiner Gegner nicht gerecht. Er hat das im neuerdings
aufgefundenen „Achmim-Codex** verzeichnete Evange -
lium Maria sehr zusammengedrängt und paraphrasiert, wo-
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