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Wienhold: Fragmente eines verschollenen Glaubens. 293
durch das gnostische System ein unverständliches Gewirr
geworden ist. Weiter sind zu nennen Justin der Märtyrer,
dessen Buch verloren gegangen ist, Clemens von Alexandrien,
der sich von den üblichen Beschuldigungen freihält, Tertullian
von Karthago, ein bekannter Eiferer (Abschreiber des Irenaus),
Hippolytus, Origenes, Philastor, Eusebiuse a. Als direkte Quellenwerke
sind folgende drei Codices zu nennen: der„Aslew-Codex",
der „Bruce-Codex" und der „Achmim-Codex".
In dem bis hierher gezeichneten leichten Umrisse des
Hintergrundes der Gnosis hat Mead also eine Uebersicht
der verschiedenen Richtungen gegeben, in denen wir nach
der Abstammung, den Tendenzen und Quellen dieser mächtigen
religiösen Strömung forschen können. Im Hauptteile
seines Werkes finden wir dann von Seite 129 bis Seite 366
„die Gnosis nach der Darstellung ihrer Feinde". Hier
wird der Leser nun in fesselnder Weise in das ganze
reiche Gedankensystem der Gnosis eingeführt. Ganz besonders
hervorragend sind die Abschnitte: Simon Magus,
die Ophiten, die Naasse^er, die Peraten, die Sethiter, die
Doketen, Marcion, die Basiiidianische Gnosis, die Valen-
tinianisclie Bewegung, Valentinus, einiges über Aeonologie,
die Zahlensymbolik des Markus, Bardesanes, aus der Geschichte
des Apostels Johannes u, v. a. Das alles sind
edle Bruchstücke des Strand- und Wrackgutes aus dem
traurigen Schifibruche der Gnosis, wie sie sich in den
Werken ihrer bittersten Feinde finden. Es folgt nun „die
Gnosis nach der Darstellung ihrer Freunde", der Irhalt
der genannten drei Codices. Den grössten Raum nehmen
ein: Inhaltswiedergabe der sogenannten Pistis-Sophia-
Schrift, Inhaltsübersicht der Auszüge aus dem Erlöserbuche
und Auszüge aus den Fragmenten vom Buche des
Grossen Logos nach der Mysterienlehre —
Die Lektüre dieses Mead'schm Werkes führt uns in
eine Lichtregion. Man lebt in der Gemeinschaft derer, die
den Meister liebten. Von solchem Liebeslichte umflossen,
können wir die nicht verdammen, die mit gat.zem Wesen
m dem aufgingen, der gerufen hat: „Kommt her zu mir
alle, die ihr mühselig und beladen seid!tt Das Brandmal
der Häresie, das für viele so breit über ihren Häuptern
geschrieben ätand, löst sich auf und verschwindet in weiter
Ferne, und der Meister tritt hervor und breitet seine Hände
segnend über ihnen aus. Wie konnte diese Seite des Urchristentums
dem Vergessen anheimfallen? Die alten
Formen mögen im zwanzigsten Jahrhundert schwinden —
es waren darunter viel herrliche und schöne; der Geist soll
bleiben. Ein Ziel, aber viele Wege zum Ziel!
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