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v. Schnellen: Psychomotnsmus oder Panpsychismus. 358
bei der ja, wie wir sahen, auch Yerworn schon angekommen
war. Wir müssen uns vor allem auch die Materie als etwas
Geistiges, Unbewusst-geistiges vorstellen. Und diese
Forderung ist keineswegs so paradox, wie sie auf den
ersten Blick erscheinen möchte. Denn w o in der Natur
will man die Grenze des Innenlebens, des bewussten Fürsichseins
, der Empfindungsfähigkeit ziehen? Von den
Menschen und höheren Säugetieren führt doch unverkennbar
eine fliessende, ununterbrochene Reihe abwärts bis zu
jenen niedrigsten Lebewesen, den Protisten, und von diesen
einerseits hinüber zu den lebenden Zellen und Organen
aller höheren tierischen und pflanzlichen Organismen, andererseits
noch weiter abwärts zu den organischen Bestandteilen
des lebenden Plasmas, den Eiweissmolekülen, und
schliesslich zu den letzten Bausteinen der Natur, den Atomen
oder Uratomen. Hier irgendwo an einer willkürlich
herausgegriftenen Stelle mit dem Zugeständnis einer geistigen
Innenseite Halt machen, das widerspricht nicht nur
der vernunftmässig geforderten Annahme einer zusammenhängenden
Entwicklung, nein, es ist auch ein offenbarer
Rückfall in die unkritische Auffassung des naiven Realismus
, der die materielle Aussenseite gelten lässt, weil er
sie unmittelbar als körperliches Ding an sich wahrzunehmen
glaubt, die geistige Innenseite aber leugnet, weil er
sie nicht mit den Händen greifen und auf die Wage legen
kann. —
So erscheint denn dem tiefer eindringenden Verständnis
unser Leib als ein grosser Stufenbau geistiger Individualitäten
oder seelischer „Monaden", wie ihn vor zweihundert
Jahren schon jener erste grosse Denker unsers Volkes, Leibnitz^
aufgefasst hatte. Ja, auch Häckel ist in dieser Hinsicht
unzweifelhaft auf dem rechten Wege, wenn er nachdrücklich
für die Allbeseelung der Natur bis hinab zu
den Plastidulen und Atomen eintritt. Nur begeht er zwei
Fehler: erstens den, dass er die höheren Individualitäten
einfach aus einer Summe von Atomen zusammensetzen will
und die Notwendigkeit einer hinzukommenden Zentralmonade
oder einigenden Tätigkeit verkennt, und zweitens den
anderen, dass er den Atomen auch noch einen stofflichen
Körper zuschreibt, was sein Schüler Verwarn mit Recht
nicht als eine Ueberwindung des Gegensatzes von Körper
und Seele gelten lassen will (16). Aber was verpflichtet,
ja, was berechtigt uns überhaupt, ausser der Atomkraft
auch noch irgend einen Atomstoff anzunehmen?
Was wir wahrnehmen, sind ja in Wahrheit immer nur
Wirkungen, die wir auf Kräfte zurückführen müssen. Alle
Psychische Stadien. Juni 1905, 23
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