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364 Payohwche Studien. XXXli. Jahrg. l\ Heft. (Juni 1905.)
mich während meiner Worte ein eigentümliches Gefühl der
Besorgnis um meinen jungen Freund, eine bange Ahnung
vor etwas Entsetzlichem. Doch Hess ich meine Befürchtung
nicht laut werden und versuchte darüber hinwegzukommen,
was mir auch schliesslich bei seinen frohen hoffnungsvollen
Worten gelang. Der Abend verlief wie viele solcher Art,
wir waren in lustiger Laune, sangen und pokulierteu nach
eingenommenem Mahle, und der Fröhlichste war der junge
Held des Tages, der bei Tagesanbruch ins weite Innere
ziehen sollte. Um 12 Uhr erhob er sich und sprach den
Wunsch aus, sich jetzt schon verabschieden zu dürfen. Er
wolle um 41/« Uhr abmarschieren und bäte uns, ihn nicht
mehr am Morgen beim Aufbruch, wie sonst üblich, ein
Stück Weges zu begleiten. Ich trat mit ihm noch einen
Augenblick in meine Privatwohnung, wir umarmten uns
und sagten uns herzlich Lebewohl. Währenddessen überlief
mich wieder dieses fröstelnde, beklemmende Gefühl, wie
am Nachmittage, so dass mir ein paar Augenblicke die
Sprache stockte und ich ihn stumm an mich drückte.
„Mach' keine Geschichten, Werner, und sei vorsichtig," crmahnte
ich ihn. Er selbst war auch in dieser Abschiedsstunde
, trotzdem er sich nichts merken Hess, nachdenklich
gestimmt, und ich werde es nie vergessen, wie er mit
lächelndem, dabei zuckendem Munde zu mir sagte: „Was
soll mir denn passieren? Wenn mir etwas zustösst, sollst
du es zuerst erfahren, ich werde dir ein Zeichen geben,
wo du auch sein magst/' Mit diesen Worten verliess er
mich und ging, seinen Diener mit der Laterne vorausschickend
, schnellen Schrittes in das Dunkel der Nacht
hinein. — Ich sollte ihn lebend nicht wiedersehen.
*
Ungefähr zwei Monate waren seit diesem Abend verstrichen
. Es war kurz vor 12 Uhr, als ich das Licht auslöschte
. Ich lag nachdenkend schon geraume Zeit wach,
als ich auf der VeranJa, die neben meinem Schlafzimmer
lag, leichte Schritte, Knacken des Fussbodens, Klingen von
Gläsern und Klappern von Tellern zu hören meinte.
Eine Weile lag ich lauschend, richtete mich dann aul
und setzte mich, um besser hören zu können, auf den Rand
der Bettstelle. Richtig, es war jemand draussen, daran war
kein Zweifel. Soeben drang wieder der Klang, als wenn
zwei Gläser zusammenstiessen, an mein Ohr. Rasch schlüpfte
ich in meine Schuhe und ergriff mein Gewehr. Ich dachte
an Ratten, die im Speiseschrank ihr Wesen trieben, oder
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