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Langheld: Mein Freund Werner.
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an diebische Boys, die Appetit auf meine Whisky Vorräte
hatten, und beschloss, durch den andern Ausgang meiner
Wohnung um das Haus herumzugehen und von vorn kommend
die Ursache der gehörten Geräusche zu ergründen. Als
ich vor die Türe trat, lag Hof und Haus in dem hellsten
Schimmer des Mondes, die Laternen waren, wie immer in
hellen Mondnächten, schon um Mitternacht ausgelöscht.
Ein tiefer Friede lag über der Landschaft, selbst die Zikaden
in den hohen Bäumen hatten mit Zirpen aufgehört.
Leise schlich ich mich um das Haus herum, machte
einen Augenblick an der vorderen Trepne Halt, denn mein
Herz pochte etwas unruhig, und erstieg dann, jedes Geräusch
vermeidend, die paar Stufen, die zur Veranda hinaufführten
. Nun war ich oben; ganz langsam, mich im Schatten
des Mondes an der Wand haltend, tappe ich bis zur Ecke,
beuge mich vor und erblicke in hellem Mondlicht
an m e i n e m E s s t i s c h, der mit allerlei
Geschirr, Flaschen und Gläsern*) besetzt
war, einen Europäer sitzen.
Einen Augenblick fuhr mir der Gedanke an eine
Halluzination durch den Sinn, ich wischte mir mit der
linken Hand die Augen und spähte noch einmal Die Erscheinung
blieb; blitzschnell jagten sich die Gedanken, es
konnte ja ein Europäer sein, der mich und meine Einrichtung
kannte und davon Gebrauch machte, ohne mich in der
Nacht stören zu wollen. Oder ich war in der Nacht vielleicht
doch eingeschlafen und hatte sein Kommen überhört.
Während ich noch überlegte, wendete mein später Gast
plötzlich sein Antlitz voll dem Monde zu und — mir
stockte der Herzschlag — das war ja Werner, mein Freund
Werner, den ich weit im Innern vermutete. Aber, wie sah
er aus, hohläugig, mit eingefallenen Wangen und einem unbeschreiblichen
Leidenszug in den Mienen.
Einige Sekunden war ich wie gelähmt, ein eiskaltes
Gefühl kroch mir den Nacken hinauf, aber ich überwand
den Moment der Schwäche und: „Werner, wo kommst du
her?1' entrang es sich meinen Lippen. In demselben
*) Da der Tisch, wie gleich nachher vom Verf. festgestellt
wird, bereits abgeräumt war, so würde hier wohl ein Fall der von
den französischen Forschem nach FL Tarne ho benannten „wahren
Halluzinationen" (hallucioations v6ridiques) vorliegen, insofern der
sterbende Werver wirklich sich den Fieund, dem er sich anmeldete,
beim Abendessen intensiv dachte. l)ie momentane Materialisation
obiger Gegenstände wäre übrigen«* für den Kenner der okkultistischen
Literatur an sich nicht wunderbarer, als die der Bekleidung des
Phantoms selbst. Ited.
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