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414 Psychische Studien. XXXII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1905.)
Grundbegriff, wie er sieh namentlich in früheren Stadien
des Forschens — und nicht mit Unrecht — gestaltete.
Sind wir nun berechtigt, einen bedingten Dualismus
von Leben und Stoff zu statuieren, so gilt ein Aehnliches
auch für den engeren Seelenbegriff, d. h. da, wo derselbe
das eigentlich psychische Gebiet des Lebens bedeutet.
Selbst wenn wir das psychische Kapital und den psychischen
Typus eines gegebenen Menschen nur für einen Abdruck
oder eine neue Auflage der elterlichen Psychen halten, so
bleibt es ja so klar wie die Sonne, dass diese psychische
Kraft nicht von vornherein in denjenigen Stoffen vorhanden
war, welche vom Moment der Empfängnis an bis zum Tode,
in stetem Kommen und Gehen, den Leib jenes Menschen
bildeten. Das einzige materielle Klümpchen des befruchteten
Eichens ging längst zu Grunde, d. h. es wurde zu
einem Produkte der Ausscheidungen, aber die in ihm —
ebenfalls durch Uebertragung — vorhanden gewesenen
Kräfte der psychischen Dispositionen gingen in die dem
neuen Wesen zugeführten Stoffe über und wanderten in
ihm während seines ganzen Lebens von bereits im Abieben
begriffenen Nervenelementen und Geweben in sich von
neuem ansetzende, und so fort bis an den Tod des Leibes. —
Jetzt aber kehren wir zu der Frage zurück, ob denn
auch wirklich a) die Uebertragung derjenigen Lebens- und
Geistesdispositionen, die wir in einem gegebenen Wesen antreffen
, nur auf dem Wege der Vererbung in dasselbe geraten
können, und b} ob diese in ihm vorhandenen Kräfte
mit dem leiblichen Tode später verschwinden.
Es sind in der Tat bisher keine exakten Beobachtungen
bekannt, die uns darüber belehrten, was aus dem Lebensprinzip
eines gestorbenen Wesens werde. Dass die Wärme
eines erhitzten Körpers nach dessen Erkalten von anderen
Körpern aufgenommen wurde, wissen wir; nichts Derartiges
aber vermögen wir von jenen „Kräften zweiter Hand'* auszusagen
, daher sich denn in der Wissenschaft die Ansicht
festsetzte, es handle sich hier einfach um einen ähnlichen
Vorgang, wie bei einer zerbrochenen Maschine, deren Funktion
eben schlechthin einging, ohne sich an irgend einem
anderen Orte wieder kundzugeben.
Gleichwohl sahen wir bereits oben, dass es sich schon
mit der Maschine nicht so einfach verhalte, wie es den Anschein
hat Allerdings gibt es in ihr keine selbständig
bestehende Funktionskraft, die etwa aktiv von Stoff zu
Stoff zu wandern, und, wo sie sich gerade ansetzt, den betreffenden
Stoff in eine Maschine zu verwandeln vermöchte.
Aber dafür wirkt das Eingehen einer Maschine wenigstens
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