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418 Psyohisohe Studien. XXXII. Jahrg 7. Heft. (Juli 1905.)
xv, A.1 LI.
Nun gibt es noch ein für die naturwissenschaftliche
Erklärung bisher durchaus dunkles Gebiet von Erscheinungen
, wo wir verschwundene Lebensformen wieder auftauchen
sehen, ohne dass die Eigenschaften der Eltern dabei
mitgewirkt hätten, da letztere denselben ganz unähnlich
sind. Alle hierher gehörigen Tatsachen werden zwar von
der Schulwissenschaft ohne weiteres in die Lehre von den
Vererbungen untergebracht Allein wenn schon die Vererbung
im gewöhnlichen, d. h. direkten Sinne aller Erklärungsversuche
spottet, so ist dies hier im doppelten Sinne
der Fall, da es sich hier um Phänomene handelt, die nicht
nach, sondern im Widerspruch mit den bekannten Vererbungsgesetzen
geschehen.
Schon der Rückschlag oder Atavismus ist eine
harte Nuss für unsere Theoretiker: es zeugen Eltern ein
Junges, welches nicht ihnen, sondern einem mehr oder
weniger entfernten Vorfahren ähnlich ist. Man hat sich
zwar, wie üblich, die Sache leicht gemacht und postuliert,
es wären einfach von jenem Ahnen gewisse Keime übrig
geblieben, die, nachdem sie lange Zeit in latentem, untätigem
Zustand verblieben, sich endlich gleichsam wieder
darauf besannen, ins öffentliche Leben einzutreten und so
jene neue Auflage der Voreltern zu produzieren. Aber
schon abgesehen davon, dass es hierbei immerhin rätselhaft
bleibt, wieso ein solcher Keim es anfängt, eines Tages die
viel stärkeren direkten Vererbungskräfte zu besiegen, sie
zurück zu halten und sich selbst in den Vordergrund zu
schwingen, ist ja selbst die Voraussetzung einer Ein-
schachtelung gewisser alter Keime im Innern von Keimen
eines anderen Typus — und zwar viele Generationen hindurch
— im höchsten Grade dunkel, d. h. diese sogenannte
Erklärung erklärt gerade soviel, wie wenn man die nackte
Tatsache anführt, indem man z. B. sagen würde, „es zeigen
sich plötzlich wieder gewisse Lebensformen, die vor alten
Zeiten die Regel bildeten, später aber verschwanden."
Noch problematischer wird die Sache, wenn man sich
den indirekten oder lateralen Atavismus betrachtet,
d. h. die Fälle, wo sich z. B. zwischen Grossonkel, Grosstante
und deren Grossneffen oder -nichten frappante leiblich
-geistige Aehnlichkeiten beobachten lassen. Da hier von
einem Wiederaufwachen der schlummernden Vererbungskeime
der indirekten Vorgänge keine Rede sein kann, so
rückt man das „Erklärende" weiter hinauf und folgert:
beide Reihen, d. h. sowohl die Grosstanten und -onkel,
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