http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0443
Nagel: Die Genialität eine Schwester der Medialität. 427
Er mus8 diese Blätter als Knabe von zwölf bis fünfzehn Jahren
bei dem Grossvater, Pastor Oehler in Pobler, gelesen haben.
Die Genfer Somnambule, — die dortigen Spiritisten
halten sie für ein Medium, durch das die Geister mit ihnen
in Gedankenaustausch treten, und dieser Meinung ist auch
//. Smith selber — ist der Aufgabe Flournoyh bereitwillig
entgegengekommen. Aber es war fast der Spürsinn eines
Detektivs notwendig, um den Nachweis rein irdischen Ursprungs
aller Leistungen einwandfrei zu führen. Daher
kann es nicht Wunder nehmen, wenn die Spiritisten trotz
des Hohnes und Spottes der — freilich recht unwissenden
— Gegner an ihrem Glauben festhalten, und ferner, wenn
die Medien selbst die — wohl in den meisten Fällen —
ihrem Unterbewusstsein entstammenden Phänomene als
durch andere Wesen hervorgerufen betrachten. Wer sich
mit okkulten Fragen nie beschäftigt hat, ist ganz und gar
nicht berechtigt, über die Spiritisten von oben herab ein
Urteil zu sprechen; denn sie stützen sich immerhin auf
feststehende Tatsachen, bei deren Erklärung sie freilich
mangels ausreichender psychologischer Kenntnisse oft in
die Irre gehen. Wie schwer es selbst „erstklassigen"
Männern werden kann, sich in okkulten Dingen zurecht zu
finden, zeigt recht deutlich das Beispiel des bekannten
Pariser Astronomen Camitte Flammarion. Auch dieser ist
ein Medium, indem er die Fähigkeit besitzt, automatisch zu
schreiben. Während sein Geist mit ganz anderen Dingen
sich beschäftigte, schrieb die Hand Aufsätze astronomischen
Inhalts, die nach der Unterschrift Galilei zum Verfasser
haben sollten und auch in der Tat dieses grossen Mannes
würdig schienen. Auf Grund seiner eigensten Erfahrung
glaubte Flammarion sich wohlberechtigt, die spiritistische
Theorie als begründet anzusehen, da sie allein zur Lösung
des Rätsels eine Handhabe zu bieten schien. Nach genauerer
Prüfung musste Flammarion indes einsehen, dass
Galilei's ^Geist" von den neuesten astronomischen Entdeckungen
keine Kenntnis gehabt und auch sonst nicht
eine einzige Tatsache berührt hatte, die dem Forscher
selbst ganz unbekannt geblieben wäre. Diese Erwägungen
und eine genauere Bekanntschaft mit dem Wesen des
Unterbewusstseins veranlassten Flammarion schliesslich, dem
Spiritismus Valet zu sagen und sich dem Okkultismus zuzuwenden
. So durchaus kindlich, wie der Laie in seiner
durch Sachkenntnis nicht berührten Unschuld wähnt, sind
also selbst die Spiritisten nicht. Sogar die sogenannten
Phantome, d. h. in Gegenwart besonders starker Medien
sich entwickelnden Gestalten oder Körperteile, sind einwand-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0443