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Reich: Gedanken über das menschliebe Ungeheuer. 429
Gedanken über das menschliche Ungeheuer.
Von Dr. med. Eduard Reich,
zu Nieuport-Bains in Belgien.
Mit allem Erdenkbaren treibt der Mensch Missbrauch;
überall macht sein Egoismus sich geltend und gestaltet aus
dem natürlichen Recht das schlimmste naturwidrige Faust-
recht. Seine eigene Gattung und alle von ihm unterworfenen
Gattungen anderer Tiere verdammt sein verruchter
Eigennutz zu Schmerz, Naturwidrigkeit und Entartung
, und seine krankhaft selbstsüchtige, verbrecherische,
zynisch-materialistische Weltanschauung stellt diese brutalperfide
Kreatur in die Achse der grossen Weltenuhr und
lässt alle Erscheinungen aus dem Standpunkt menschlichen
Privatvorteils betrachten.
Grössere Entartung ist nicht zu denken, grössere
Dummheit und Schlechtigkeit sind bei keinem anderen
Wesen zu finden. Und im Laufe der Zeit haben diese
Eigenschaften in entsetzlicher Art sich entwickelt. Aus
dem Triebe der Selbsterhaltung, der so ausgezeichnet mit
Gegenseitigkeit und Sympathie sich verträgt und harmoniert
, wurde im Portgang abnormer Entwickelung Selbstsucht
und dieser Egoismus stellte sich in feindseliges Verhältnis
zu dem natürlichen Altruismus, unter dessen Ein-
fluss die Wesen glücklich leben, soweit dergleichen auf dem
Planeten Erde überhaupt möglich ist.
Der selbstsüchtig gewordene Mensch betrachtet die
übrigen Wesen, ja auch die seiner eigenen Gattung, aus
dem Gesichtspunkt des Nutzens und legt sich darauf, dieselben
auszunutzen. Auch hiermit gelangt das System des
Tantum-quantum indirekt zur Ausbildung und, anstatt des
Glückes des einen, wird das Unglück des einen Bedingung
des Glückes des anderen. Der durch Egoismus verdorbene,
entartete Mensch gerät in die Grauen erregenden Zwangslagen
des zum System gewordenen Eigennutzes und spannt
alles, was sich ihm nähert, in das eiserne Joch seiner
Habgier. Dadurch entartet er selbst und entarten die
Wesen, welche in seinen diabolischen Bannkreis geraten,
und seine ganze Zivilisation bekundet immer mehr und
mehr die Kennzeichen physischen und moralischen Siechtums
. Die durch List und Gewalt unterworfenen Wesen
werden in mehr oder minder bedeutendem Grade dem Ein-
fluss der Natur entzogen und gehen infolge dessen geistig
und gestaltlich zurück; sie entarten.
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