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lluich: Ueber das Verhältnis des Menschen zu den anderen Tieren. 471
Stifter und Weltweisen des Morgenlands haben den Beweis
höchster Einsieht und Güte erbracht, indem sie der Gesamtheit
der dem Reiche der Tiere zugehörigen Wesen alles
sicherten, welches der Stärkere dem Schwächeren an Edelmut
und Sympathie schuldet. Darum sind auch jene
Philosophien und Religionen denen der anderen Völker weit
überlegen und diese letzteren bedürfen Jahrhunderte andauernder
Entwickelung, um den Standpunkt der Erkenntnis
und Religiosität jener asiatischen Systeme der
Humanität zu erreichen.
Als Wertmesser der Roheit und Grausamkeit der
Nationen europäischer, afrikanischer und anderer nicht ostindischer
Zivilisation möge das Benehmen des Menschen
gegen die anderen Tiere, teils seiner Umgebung, teils der
freien Natur, dienen. Die Ausnutzung und Misshandlung der
Tiere durch Experimentatoren, Schinder, Jäger, Schlächter,
Fischer, Züchter, Köche und sonstiges gewalttätiges
und heimtückisches Raubgesindel; die Niedertracht, mit
welcher die Jugend in den meisten Staaten gegen Natur-
und Haustiere sich verhält und versündigt; die Tatsache,
dass Tiere nicht als beseelte Geschöpfe, sondern als unbeseelte
Objekte betrachtet und verkauft werden, und jeder
Unhold mit dem unglücklichen Wesen nach Belieben
schalten und walten kann: — dies alles lässt uns die europäisch
, afrikanisch und sonst abscheulich gesittete Menschheit
in grauenhaft entsetzlichem Lichte erscheinen und vor
derselben uns ekeln.
Es sind die Religionen der bezeichneten halb und ganz
barbarischen Nationen nicht ausgebaut, sondern höchst
lückenhaft, ja die sogenannten heiligen Bücher derselben
predigen Blut, Mord und Erass tierischer Leichname. Wie
können da Sitten, Gesetze, Anschauungen milde, human
sein! Wie ist es möglich, unter solchen Widerwillen erregenden
Umständen Achtung und Schirmung des Lebens,
Verminderung von Selbstsucht und Grausamkeit, Förderung
von Mitgefühl und Erleuchtung des Geistes zu erwarteu!
Nun aber kommen noch zwei Momente in Betrachtung,
welche die verhängnisvolle Wirkung der Lückenhaftigkeit
der Religionen erhöhen, und zwar die experimentierende
Wissenschaft und das egoistische Erwerbssystem vom
tantum-quantum.
Der wissenschaftlich gebildete Henker oder Schinder,
welcher nicht weiss, dass der Wege zur Wahrheit und Erkenntnis
viele gebahnt sind und der Weg des Versuchs am
lebenden Tier der ekelhafteste, verruchteste, grausamste,
unsicherste, ungeschickteste und roheste ist, dieser lackierte
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