http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0501
Nagel: Die Genialität eine Schwester der Medialität. 485
Zutun, die Gedanken und Ideen zu. Kein Wunder, dass
sie zu allen Zeiten dem Göttlichen nahe zu stehen, göttlicher
Offenbarungen gewürdigt zu sein glaubten. Als
Sprecher Gottes betrachteten sich und wurden betrachtet
die alttestamentlichen Propheten, und, dass sie meist in
Ekstase handelten, sprachen oder schrieben, geht aus vielen
Andeutungen unzweifelhaft hervor. Die „Verzückung"
spielt auch beim Verfasser der Offenbarung Johannis eine
Rolle, Aber auch noch Schiller lässt Ibykus „des Gottes
voll'* aus Rhegium wandern, und der Dichter steht ihm „in
des grösseren Herren Pflicht, er gehorcht der gebietenden.
Stunde", Alle grossen Geister erblickten jedenfalls in dem
geheimnisvollen Hervorquellen der Ideen und Gedanken
eine rätselhafte Tatsache. Und in dieser scheint denn auch
das wesentlichste Kennzeichen des Genies zu bestehen.
Auch ein sogenanntes Talent kann es durch Uebung und
Meiss zu ganz beachtenswerten Leistungen bringen; aber
es wird diesen immer der Stempel der Innerlichkeit, gleichsam
das Schibboleth des souveränen Geistes fehlen. Wer
z. B. MenzeH „Walzwerk" etwa mit Böcklin's Selbstbildnis
vergleicht, wird den Unterschied empfinden. —
Genug, für die Verwandtschaft des Genies mit den sogenannten
Medien sprechen manche Anzeichen und Ueber-
einsdmmungen. Zu meiner Genugtuung fand ich diese auf
Grund langjähriger Beschäftigung mit dem Okkultismus
gewonnene Ansicht von einer Seite her bestätigt, von der
ich es kaum erwartet hätte. Weiter oben habe ich behauptet
, dass viele Ergebnisse des Okkultismus, nachdem
sie die Feuerprobe auch der „wissenschaftlichen" Prüfung
bestanden, bereits in anderen Wissenschaften Verwertung
gefunden haben. Für die Heilkunde darf dies als hinreichend
bekannt vorausgesetzt werden. Die moderne Bibelforschung
gibt jetzt die Möglichkeit der meisten Wunder
zu, während die Strauss*'sehe Schule dies noch schroff in
Abrede gestellt hat. Ganz analoge okkulte Phänomene,
die bis auf diesen Tag noch beobachtet werden können,
haben eben eine zu deutliche Sprache geredet, als dass sie
hätten übersehen werden können. Dass auch die Historiker
nicht achtlos daran vorübergegangen sind, zeigt das Beispiel
K. Lamprecht'&. In einem Vortrage „Zur Psychologie der
Kulturzeitalter überhaupt" hebt er den Unterschied zwischen
bewusstem und unbewusstem Seelenleben hervor und weist
in vollkommener Uebereinstimmung mit den Okkultisten
darauf hin, „dass die Summe der Vorgänge unbewussten
Seelenlebens bei weitem grösser sei, als die Summe der
Vorgänge der bewussten." Weiterhin bemerkt er: „Das
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1905/0501