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558 Psychische Studien. XXXII. Jahrg. 9. Heft. (September 1905.)
sehe und direkte Schrift. Die Darstellung ist etwas kurz,
aber durch Zeichnungen unterstützt und lässt an der Umsicht
des Beobachters und der Zuverlässigkeit der Erscheinungen
kaum zweifeln. Kniest Dunbar stellt eine interessante Betrachtung
an ,,übcr den durch die Wirkung von Betäubungsmitteln
erzielten Aufschluss über psychologische Vorgänge".
Bei dem Genuss (durch Trinken oder Einatmen) von
Alkohol, Aether , Benzin, Chloroform und namentlich Haschisch
beobachtet man — und der Verf. acheint sich selbst
sehr genau beobachtet zu haben — der Reihe nach Abnahme
des Tastgefühls, des Gehörs, Geruchs, Geschmacks,
Gesichts, sowie Trübung der Zeitempfindung und des Ortssinnes
. Da von der Auffassung der Umgebung das Gefühl
der persönlichen Identität abhängt, so wird auch dieses geschwächt
. Die Erinnerung an die frühere Umgebung ist
gestört; es entstehen Lücken im Gedächtnis, und auf solche
Unterbrechungen im Verlaufe der Vorstellungen dürften
die scheinbar unmotivierten Ausbrüche von Gelächter beruhen
, die im Zustande der Berauschung auftreten.
Wernekke.
c) Ein schöner Fall von Telepathie. Unter
diesem Titel veröffentlichte der „Messagero" (Rom) folgenden
Bericht aus San Marino vom 15. Juni er.: „Nachfolgenden
merkwürdigen Fall mütterlicher Telepathie habe ich ge-
wissermassen „de visua konstatieren können, weil die beiden
Hauptpersonen, oder besser die beiden Objekte, Mutter
und Sohn, wenige Schritte von mir im sogenannten „Ranci-
delloa in der Hauptstrasse an der Grenze der Republik
wohnen. Er, Marino Tonelli, genannt Moretio, ist ungefähr
27 Jahre alt, verheiratet, Vater zweier Kinder. Als Eierhändler
besucht er die umliegenden Märkte bis hinunter
nach Rimini. Gestern Nacht, nachdem er untertags in
dieser Stadt des Weins etwas zu viel getrunken — was
übrigens nicht ungewöhnlich bei ihm ist —, kehrte er in
sein Quartier zurück, warf sich auf seinen Karren, der
glücklicherweise nur leere Eierkörbe enthielt, und Hess sich
von seinem fast apokalyptischen Pferde heimführen. Die
drückende Hitze, der Weindunst, die späte Nachtstunde
und das einförmige Trabtrab des müden Kleppers hatten
den guten Moretto in einen so festen Schlaf gewiegt,
dass er sachte einige Kilometer vom Wege abgeirrt war.
Wer weiss, um was für schweres Geld er seine Eier im
Traume noch verhandelte. Als er bei Coste di Borgo anlangte
, wo die Strasse in Serpentinen ansteigt und nach
San Marino steil abfällt, fühlte er plötzlich sein Bett nicht
mehr, und als er die Augen öffnete und der Schleier der
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